Rote Fahnen auf dem Langen Ludwig

50 Jahre ´68 – Protest gegen Notstandsgesetze in Darmstadt

„50 Jahre 68er-Bewegung“ ist zurzeit großes Thema in allen Zeitungen und auch in gewissen Programmen des Öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Darmstadt mit seiner Technischen Hochschule und dem Übergewicht an Ingenieursstudenten stand diesbezüglich im Schatten der Frankfurter Ereignisse. Dennoch war es auch in Darmstadt nicht völlig ruhig und es gab Demonstrationen mit Teilnehmerzahlen, die heute bei Weitem nicht erreicht werden.

So zum Beispiel am 29.5.1968, als nach Schätzung des „Darmstädter Tagblattes“ 2000 bis 3000 Menschen gegen die geplanten Notstandsgesetze protestierten. Aufgerufen zur Demonstration hatte die Studentenschaft der TH Darmstadt. Neben den Student_innen sollten vor allem Schüler_innen der Oberstufenklassen zur Teilnahme aufgerufen werden. Die Beteiligung an den einzelnen Schulen soll nach dem Bericht des Darmstädter Echos sehr unterschiedlich gewesen sein. An der Liebigschule sollen nur sechzehn Schüler_innen gewesen sein, an der Edith-Stein-Schule überhaupt niemand. Vom LGG wurde allerdings gemeldet, dass Zweidrittel der Schülerschaft sich an der Demonstration beteiligt habe, eine Klasse sei dem Unterricht komplett fern geblieben. An einigen Schulen mussten die Streikwilligen durch das Fenster oder über den Zaun klettern, da Hof oder Gebäude abgeschlossen waren.

Unter dem Eindruck der Mai-Revolte in Frankreich, wo Student_innen und Arbeiter_innen gemeinsam gegen die Regierung kämpften, versuchten einige der Demonstrierenden, die Beschäftigten von Röhm und Merck zur Teilnahme zu gewinnen. Diese Versuche waren aber wohl wenig erfolgreich. In anderen Städten gab es jedoch auch in Betrieben Protestaktionen und Arbeitsniederlegungen.

Die Demonstration in Darmstadt fand einen Tag vor der Beschlussfassung des Bundestages statt. Für den nächsten Tag hatte der Darmstädter DGB zu einer Kundgebung aufgerufen, an der der sich ebenfalls viele Student_innen und Schüler_innen beteiligten. Redner war u.a. der hessische DGB-Vorsitzende Philip Pless. Er nannte die Gesetze „eine Ausgeburt reaktionärer Rückschläge, die die Bundesrepublik in ihrer Geschichte kontinuierlich erlitten habe.“ (Darmstädter Echo 31.5.1968)

Was sind die Notstandsgesetze?

Mit den Notstandsgesetzen wurde das Grundgesetz geändert und um eine „Notstandsverfassung“ ergänzt für Krisensituationen wie Naturkatastrophen, Aufstände oder Krieg. In diesen Fällen können die Rechte des Parlaments eingeschränkt und das Post- und Fernmeldegeheimnis außer Kraft gesetzt werden. Besonders umstritten war der Begriff des „Inneren Notstands“. In diesem Fall erlauben die Notstandsgesetze der Bundesregierung, Landespolizei zur Niederschlagung von Aufständen einzusetzen. Ermöglicht wurde in diesem Fall auch der Einsatz der Bundeswehr und des Bundesgrenzschutzes im Inneren.

Große Koalition macht´s möglich

Bereits am 11.Mai gab es einen bundesweiten Sternmarsch in Bonn, an dem 80.000 bis 80.000 Menschen teilnahmen. Die starke Opposition gegen die Notstandsgesetze erklärt sich auch durch den Kurswechsel der SPD. Diese hatte, solange sie in der Opposition war, die parlamentarische Zustimmung zu früheren Entwürfen stets verweigert. Somit aber gab es dafür nie die für eine Verfassungsänderung notwendige Zweidrittelmehrheit. Als die SPD jedoch 1966 in die große Koalition eintrat, gab sie ihre Opposition auf, nachdem einige Entschärfungen der Gesetzesvorlage vorgenommen wurden. Besonders die Regelungen zum „Inneren Notstand“ stießen in weiten Teilen der Bevölkerung jedoch auf Skepsis und Ablehnung. Das war auch ein Zeichen des Misstrauens gegen die Regierenden, von denen viele schon im Faschismus in Amt und Würden waren, und die Angst vor einem Missbrauch war groß. Da es nun im Parlament keine nennenswerte Opposition mehr gab, formierte sich die „Außerparlamentarische Opposition“ (APO) um die Notstandsgesetze zu bekämpfen. Besonders aktiv waren hierbei der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), die Humanistische Union und Teile der Gewerkschaften, vor allem in der IG Metall.

Die Gewerkschaften selbst waren jedoch auch gespalten. Besonders die IG Bau–Steine–Erden, die IG Bergbau und Energie, die Gewerkschaft der Eisenbahner, die Postgewerkschaft und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft konnten sich mit der neuen Fassung des Gesetzes anfreunden. Die IG Metall, IG Druck und Papier, IG Chemie–Papier–Keramik und die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen stellten sich nach wie vor entschieden gegen jegliche Notstandsgesetze. Der DGB sprach sich vor allem gegen einen politischen Streik aus, um die Notstandsgesetze zu verhindern. Dies erklärt die Vorbehalte einiger Student_innen gegen die Gewerkschaften. Ein ehemaliger Druckarbeiter berichtet, wie er und sein Freund bei einem folgenden Teach-In im Audi-Max der TH erst einmal ausgebuht wurden, als sie sich als Gewerkschafter zu erkennen gaben. Erst als sie die Differenzen innerhalb der Gewerkschaften darstellten und ihre Opposition zu den Notstandsgesetzen unterstrichen sei eine konstruktive Diskussion möglich geworden.

Die APO konnte die Notstandsgesetze nicht verhindern. Am 30.5.1968 wurden sie beschlossen. Neben der FDP stimmten auch 53 Abgeordnete der SPD dagegen. Das Bündnis der Außerparlamentarischen Opposition zerfiel in seine Einzelgruppen. Allerdings trug es zur Politisierung vieler junger Menschen bei und in den nächsten Jahren gab es immer wieder Anlässe für eine Zusammenarbeit auf lokaler Ebene und darüber hinaus.