Die ambivalente Rolle der Wissenschaft

Rede von Franz Fujara bei der "Fridays for future"- Demonstration am 15.3.2019

Am 15.3.2019 beteiligten sich zwischen 2000 und 3000 Menschen an der Demonstration anlässlich des Streiks der Schülerinnen und Schüler für den Klimaschutz. Bei der Auftaktkundgebung sprach Franz Fuajara, emeritierter Physik-Professor, zu den Teilnehmenden über die ambivalente Funktion der Naturwissenschaften bei der Umweltpolitik.

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Bevor ich mich vorstelle und einige wenige Worte an Sie richte, möchte ich Ihnen sagen, dass ich mich sehr freue, hier bei Ihnen zu sein und Sie in Ihrem Anliegen zu unterstützen. Mein Name ist Franz Fujara, ich bin pensionierter Physik-Professor der TU Darmstadt. So stehe ich hier also erstens als Vertreter einer deutlich älteren Generation und zweitens als Vertreter der Wissenschaft. Zu beiden Aspekten jeweils ein kurzes Wort:

Was die Generation betrifft - mein Abitur habe ich im Jahre 68 gemacht - so fände ich es wunderbar, wenn wieder eine Schüler- und Studentengeneration es schaffen könnte, selbstbewusst durch zivilen Ungehorsam etwas zu bewirken. Nicht nur passiv Wissen über unsere Welt aufzunehmen, sondern sie aktiv mitzugestalten. So wie es 1968 nur die damalige Jugend aufzuzeigen vermochte, dass die Gesellschaft immer noch an allen Ecken von Nazigedanken durchsetzt war, so kann es heute wohl wieder nur Ihre Generation fertigbringen, auf die Riesengefahr des Klimawandels aufmerksam zu machen, in die uns mehrere Generationen durch ihre verantwortungslose Profit- und Energiegier hineingebracht haben.

Und nun zur Wissenschaft, die dabei eine sehr ambivalente Rolle spielt. Einerseits weist sie heute ganz klar auf die drohende Katastrophe hin und gibt uns auch konkrete Handlungsanweisungen für einen Kurswechsel. Aber dieselbe Wissenschaft hat uns auch in diese Sackgasse hineingeführt. Dazu ein einprägsames Beispiel aus einer Zeit, als ich in Ihrem Alter war: Im Jahre 1964 gab die Deutsche Bundespost eine Sonderbriefmarkenserie zum, wie sie offiziell hieß, „Fortschritt in Technik und Wissenschaft“ heraus. Das waren drei Briefmarken, die eine zeigte das Benzolmolekül, die andere das Brennelement eines Kernreaktors und die dritte den Verbrennungsmotor. Heute sind alle drei eher Symbole der Zerstörungskraft von Wissenschaft und Technik. Die Frage ist also: Muss es wirklich dabei bleiben, dass die Wissenschaftler, um mit Bertold Brecht zu sprechen, „ein Geschlecht erfinderischer Zwerge“ sind, „die für alles gemietet werden können“?

Es liegt auch in Ihren Händen, dass das nicht so bleibt. Überzeugen Sie Ihre Lehrer und Professoren, mit Ihnen mitzuwirken, und Sie haben die riesige Chance, aus Ihren Aktionen eine große gesellschaftliche Bewegung zu machen. Eine solche Bewegung brauchen wir, denn wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.  

Franz Fujara
16.03.2019
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