Gelbwesten in Darmstadt

Diskussion mit dem CGT-Funktionär Raymond Ruck

Der DGB Südhessen hatte 26.4.19 Raymond Ruck von der CGT Elsaß zur Gelbwestenbewegung in Frankreich, den Gilets jaunes (GJ), eingeladen. Zwischen der CGT Elsaß und dem DGB Südhessen gibt es schon seit vielen Jahren enge Beziehungen. Raymond berichtete zuerst aus seiner Sicht über die Geschichte und die Entstehung der Gelbwestenbewegung. Danach ging er auf Fragen aus dem Publikum ein.

Was sind dir Ursachen für den GJ-Protest?

Grund für den großen Protest ist die reine materielle Not vieler Franzosen und der tägliche Kampf ums Überleben. Die Erhöhung der Treibstoffpreis war nur der Anlass. Die parallelen Steuererleichterungen für die Reichen wurden als Provokation empfunden. Die Arbeitslosen, prekär Beschäftigten, Rentner*innen und kleinen Selbständigen sahen sich durch keine Organisation mehr vertreten und stellten deshalb neben der Forderung nach Erhöhung der Kaufkraft die Forderung nach mehr Beteiligung an politischen Entscheidungen. Die GJ-Bewegung hat große Unterstützung bei der Bevölkerung, was Ausdruck davon ist, dass sich die Vertretungsdemokratie in einer Sackgasse befindet.

Wie war das Verhältnis von CGT zu den GJ?

Am Anfang gab es eine große Distanz zwischen der CGT und den GJ. Das kam schon von dem Namen „Gelbwesten“. In Frankreich hat die Farbe gelb unter den Gewerkschafter*innen eine ähn­liche Bedeutung wie in Deutschland. „Gelbe“ Organisationen stehen in der Arbeiter*innenbewegung für Organisationen, die sich von den „roten“ Gewerkschaften abgrenzen und von den Arbeitgebern unterstützt und finanziert werden. Deshalb lehnten einige CGT-Gewerkschaftsektionen, auch Raymond selbst, am Anfang ein Zusammengehen mit den GJ ab. Aber je nach Region fanden die GJ und die CGT früher oder später zusammen. Z. B. in Nordost-Frankreich und in Marseille, wo die Gewerkschaften nach wie vor stark sind, kam es recht früh zu intensiven Kontakten. Nach einigen Wochen und Monaten andauernder Proteste traten JT und GJ immer öfter gemeinsam auf.

Wie stehen die verschieden Gewerkschaften in Frankreich zur GJ?

Zwischen den Gewerkschaften CGT, GFDT und FO gibt es so gut wie keine Kontakte. Sie sind untereinander sehr zerstritten. Die CGT ist die Gewerkschaft mit den meisten Kontakten zu den GJ. Die CFDT sieht in den Gelbwesten eher eine Gefahr für die Demokratie und setzt vor Allem auf Verhandlungen und Gespräche mit der Regierung.

Wie sehen die GJ die CGT und die anderen politischen Parteien?

Bei der Bewegung der GJ gibt es ein großes Misstrauen gegenüber allen politischen Parteien und sie haben kein Vertrauen mehr in die Demokratie in Frankreich. In den letzten Jahrzehnten haben sich linke und rechte Regierungen gegenseitig abgewechselt, aber die Politik blieb wesentlich die gleiche. Deshalb wollen sich die GJ auch nicht in das Links-Rechts-Schema einordnen. Das Vertrauen in die Gewerkschaften ist auch nicht groß, da die Gewerkschaften in Frankreich noch viel weniger durchsetzungsfähig sind als z. B. die Gewerkschaften in Deutschland.

Wie hoch ist der Einfluß der Rechtsextremen in den GJ einzuschätzen?

Die Rechtsextremen haben keinen direkten Einfluß bei den GJ. Marie LePen selber war sehr zurückhaltend gegenüber der Bewegung der GJ. Natürlich gibt es innerhalb der GJ-Bewegung auch Sympathisanten der Rassemblement National (früher FN), entsprechend der politischen Zusammensetzung der Bevölkerung. Aber bei der Bewegung insgesamt gibt es keine rassistischen Parolen und trotz der Proteste gegen die Erhöhung der Steuern auf Treibstoffe, spricht sich die GJ für Klimaschutz aus. Ein DGB-Sekretär bemerkte dazu, auch in den deutschen Gewerkschaften gebe es leider auch Wähler*innen und Unterstützer*innen der AfD.

Welche Bedeutung hatte die Gewalt bei den Demonstrationen?

In dem Vortrag von Raymond spielte die Frage der Gewalt bei den Demos keine Rolle. Die Gewaltfrage wurde von der Regierung und von den Medien benutzt, um mit diesem Thema von den Inhalten der Demonstrationen und den Forderungen abzulenken. Unter der Bewegung der Gelbwesten war das kaum ein Thema. Interessant war die Bemerkung von Raymond, dass sich die französische Polizei gegenüber den Demonstrant*innen der GJ sehr zurück hielt. Hätte die CGT zu Demonstrationen aufgerufen, wäre die Polizei viel härter vorgegangen. Einige deutsche Gewerkschafter*innen wunderten sich über diese Aussage, da sie in der Presse über viele Schwerverletzte, abgerissene Hände und durch Gummigeschosse verlorene Augen gelesen hatten.

Was sind die nächsten Ziele der GJ?

Die GJ versuchen sich zu organisieren und Forderungen auf Delegiertenversammlungen (rassemblements) zu entwickeln und zu vereinheitlichen. Vereinbarungen mit Parteien und Gewerkschaften werden jedoch abgelehnt. Die GJ bereiten sich auf die Kommunalwahlen im nächsten Jahr vor und werden dort auch Forderungen für die Region aufstellen. Sie verlangen mehr Demokratie und mehr Volksabstimmungen. In Deutschland ist weniger bekannt, dass die GJ wichtige Unterstützung von Intellektuellen erhält.

An welchen Punkten kritisiert die CGT die GJ?

Die GJ greifen nur die Politik an, nicht die Ökonomie. Die ökonomischen Ursachen und Triebkräfte für die demokratiefeindliche und unsoziale Politik des Staates werden zu wenig gesehen. Für die CGT ist Macron der „bewaffnete Arm der Superreichen“ und macht Politik für die Finanzinvestoren. Ein Großteil der sozialen Errungenschaften in Frankreich aus den letzten Jahrzehnten werden von Macron systematisch zerstört. Die Möglichkeiten von Demonstrationen und Straßenblockaden sind außerdem beschränkt und schädigen das System nicht wirklich. Das schärfste Mittel um Interessen durchzusetzen, ist der Streik.

Wie geht die Bewegung der GJ weiter?

Raymond: Ich weiß es nicht. Die Bewegung versucht sich mit Delegierten und in Versammlungen zu organisieren. Entscheidend ist das Verlangen nach mehr Demokratie und nach Volksabstimmungen. Wichtig ist, dass alle Bürger in möglichst vielen Bereich sich einmischen. Die GJ und die CGT, der DGB und attac schaffen es alleine nicht. Neben den alten Formen der Organisation brauchen wir neue Formen. „Ich bin gespannt auf die Entwicklung und wie es weiter geht“, und vor allen Dingen, „wir müssen die Diskussion über den Sozialprotest im gesamten Europa führen.“

Erhard Schleitzer
29.04.2019