Wird die Darmstädter SPD sozialdemokratisch?

Wie ernst ist es mit der sozialen Wende?

Darmstadt war nach dem Zweiten Weltkrieg einmal eine Hochburg der SPD. Bei mehreren Kommunalwahlen konnte sie die absolute Mehrheit erringen und oft blieb sie knapp darunter. Trotz ständiger Verluste ab den 90er Jahren war sie bis 2001 mit wenigen Ausnahmen stärkste Partei im Stadtparlament und nach 1945 stellte sie bis 2011 ununterbrochen den Oberbürgermeister. Doch dann wurden die Einbrüche immer heftiger. Die Kommunalwahl 2016 bedeutete den bisherigen Tiefpunkt, als die Partei nur noch 17,2 Prozent der Stimmen erhielt.

Die Darmstädter SPD-Führung positionierte sich innerhalb der Partei bis in die neunziger Jahre deutlich auf dem rechten Flügel. Rot-grüne Koalitionen waren hier auf kommunaler Ebene noch Tabu, als sie auf Landesebene schon lange praktiziert wurden und die GRÜNEN schon längst eine etablierte Partei waren. Abweichende Positionen wurden mit vielerlei Tricks bekämpft. Günther Metzger war 1974 Mitinitiator des Seeheimer Kreises, der einer vorgeblichen Linksentwicklung der SPD entgegenwirken wollte. Und Dagmar Metzger ließ sich 2008 von allen Konservativen und Reaktionären des Landes dafür feiern, dass sie die Bildung einer SPD-geführten Landesregierung unter Andrea Ypsilanti mit Duldung der LINKEN verhinderte. Der Niedergang der Darmstädter SPD vollzog sich parallel zu dem der Gesamt-SPD. Allerdings ging es wesentlich schneller bergab und das hatte auch mit der selbstherrlichen Haltung der hiesigen SPD-Führung zu tun. Als z.B.  Bürgerentscheid gegen die Nordostumgehung das notwendige Quorum ganz knapp verfehlte, die Ablehnung aber eindeutig war, hielt die lokale SPD starr am Bau der Umgehung fest, konnte sich mit dieser Position aber nicht durchsetzen.

Nach der Wahlniederlage 2016 setzte in der SPD ein Hauen und Stechen verschiedener Gruppen ein. Es ging eher um den Einfluss einzelner Personen und verschiedener Ortsvereine. Inhaltliche Differenzen konnten vermutet werden, waren in den Verlautbarungen aber kaum auszumachen. Nach und nach zogen sich jedoch Vertreter*innen der alten Garde zurück und so konnten jüngere Menschen an verantwortliche Stellen kommen. So wurden mit Bijan Kaffenberger und Tim Huß zwei junge Mitglieder als Landtagskandidaten aufgestellt und letzterer wurde auch Vorsitzender der Darmstädter SPD.

Das soziale Profil wird geschärft

Auch inhaltlich wurden neue Akzente gesetzt: Das soziale Profil der lokalen Partei soll geschärft werden, die an den Modernisierungsgewinnern ausgerichtete Politik der grün-schwarzen Koaltion soll stärker kritisiert werden. So soll versucht werden Wähler*innen zurückzugewinnen, die sich durch die Agendapolitik der Schröder-SPD von der Partei gelöst hatten. Tim Huß nennt hierfür drei Schwerpunkte:

  • Er fordert einen städtischen Mindestlohn von zwölf Euro. Dazu müsse die unterste Tarifstufe abgeschafft werden. Auch die Fremdvergaben städtischer Aufträge sollen stärker als bisher Sozialstandards unterworfen sein. Sachgrundlose Befristungen für kommunale Beschäftigte will er abschaffen.
  •  Der öffentliche Nahverkehr soll attraktiver gemacht werden, u.a. durch ein ÖPNV-Jahresticket für 300 Euro. Die Takte von Busse und Bahnen sollen erhöht, die dafür notwendigen Ausgaben durch eine Unternehmensabgabe finanziert werden.
  • Die Mieten des Bauvereins sollten nur noch um maximal ein Prozent alle vier Jahre erhöht werden. Dies wirke auf den Mietspiegel und dämpfe die Mieterhöhungen der Gesamtstadt. Des Weiteren sollen Grundstücke nur noch in Erbpacht vergeben werden, um Spekulationsgewinne durch Weiterveräußerungen unmöglich zu machen.

Das alles sind durchaus sinnvolle Forderungen, die die Lebensbedingungen des weniger privilegierten Teils der Bevölkerung verbessern, einen Beitrag zur Lösung der Verkehrsprobleme und dadurch auch zum Umweltschutz leisten würden. So oder so ähnlich werden auch von anderen Initiativen, Gruppen und Parteien Forderungen an den Magistrat gerichtet.

Links blinken und dann?

Dennoch reagieren all diese Kräfte auffallend zurückhaltend auf die Initiativen der SPD. Zu oft mussten sie die Erfahrung machen, dass die SPD, einmal in der Verantwortung, sich an ihr Wahlprogramm nicht mehr gebunden fühlte und eine Politik betrieb, die den Interessen ihrer Wähler*innen diametral entgegenstand. Das ist ein entscheidender Grund für die aktuelle Krise der sozialdemokratischen Partei. Da viele dies nicht noch einmal erleben wollen, bleiben sie auch zu den jetzigen Vorschlägen der Darmstädter SPD distanziert und abwartend, fürchten, noch einmal auf Wahlkampfslogans hereinzufallen.

Soziale Forderungen müssen gemeinsam angegangen werden!

Glaubwürdiger würden Tim Huß und seine Partei, wenn sie bereit wären, ihre Forderungen nicht nur via Presseerklärung und durch Resolutionen in der Stadtverordnetenversammlung vorzutragen, sondern bereit wären, gemeinsam mit gewerkschaftlichen Gliederungen, mit sozialen Initiativen  und anderen politischen Kräften dafür eintreten würden. Ein solches Bündnis müsste auch außerhalb des Parlaments Druck aufbauen, Arbeitnehmer*innen, Mieter*innen, politisch Interessierte und andere mobilisieren und organisieren. Vor allem die Forderung nach einer Unternehmensabgabe lässt sich nicht einfach durch Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung durchsetzen. Die Macht der Unternehmen und der Wohnungskonzerne ist außerhalb des Parlaments organisiert. Schritte in die von Tim Huß angedachte Richtung hätten eine heftige Gegenpropaganda zur Folge. Dieser kann nur begegnet werden, wenn die Forderungen nach sozialen Verbesserungen ebenfalls außerparlamentarisch verankert sind.

Für einen Erfolg gibt es keine Garantie. Doch gibt es mehrere Hinweise auf einen Stimmungswandel. Der Zusammenhang von privatem Reichtum einiger Weniger und der gesellschaftlichen Armut wird stärker bewusst, Forderungen zu seiner Überwindung werden populärer. Das sind durchaus Chancen für ein solches Bündnis. Wenn die SPD die genannten Themen also ernsthaft angehen will, sollte sie andere politische Kräfte und soziale Initiativen zu einem gemeinsamen Vorgehen einladen.

Ein solches Bündnis würde jedoch auch diesen anderen Gruppen neue Möglichkeiten eröffnen. Auch für sie ist sinnvoll ist, ein Bündnis anzustreben und die SPD zu einem solchen aufzufordern. Es wäre vor allem ein Prüfstein, inwieweit es der SPD tatsächlich um mehr als Wahlkampf geht. Es bestünde dann die Möglichkeit, auch solche Mitglieder und Anhänger*innen der SPD in außerparlamentarische Aktivitäten einzubinden, die solchen Initiativen bisher fern blieben. Für die Forderungen könnte mit größerem Nachdruck gekämpft werden. Und wenn die SPD nach den nächsten Wahlen ihre Forderungen fallen lassen sollte, wären Strukturen vorhanden, die Ziele auch ohne die SPD weiterzuverfolgen.

Reinhard Raika
08.05.2019
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