Streik im Busverkehr: Gegen gesetzliches Lohndumping

Klimabewegung solidarisch

Am Böllenfalltor, an der Endstation der Linie 9 haben sie ein Zelt aufgeschlagen. Darin und davor stehen die Streikenden der Bussparte der Darmstädter HEAG. Sie streiken jetzt seit einer Woche für eine schrittweise Erhöhung ihres Grundgehalts bis Ende März 2022 von jetzt 13,50 Euro auf 16,60. Der Urlaub soll auf 30 Tage innerhalb der geforderten 5-Tage-Woche erhöht werden (derzeit sind es 25 Tage). Außerdem fordert die Gewerkschaft, fahrplanbedingte Pausen und Wendezeiten komplett zu vergüten.

Die Zeitungen verkündeten am Tag vorher, die Arbeitgeber hätten ein neues Angebot gemacht und zum Dialog aufgefordert. Das aber kam bei den Streikenden überhaupt nicht gut an. „Das ist ein Gesprächsangebot, aber kein Lohnangebot“ war immer wieder zu hören. Die Bereitschaft, weiter zu streiken, ist angesichts des Arbeitgeberverhaltens ganz klar. Auch die jetzt vorgesehene Schlichtung mindert nicht die Bereitschaft, den Streik wieder aufzunehmen, wenn das Ergebnis der Schlichtung unzureichend ist. Es wird auch auf Baden-Württemberg verwiesen, wo die Tariflöhne heute schon so hoch sind wie es in Hessen erst für 2022 gefordert wird.

Kritisiert wird auch, dass die HEAG, eine 100%-ige Tochter der Stadt, mit ihrem Busunternehmen im Verband der privaten Busunternehmen vertreten ist und auch nach diesem Tarif bezahlt. Im Tarifvertrag der kommunalen Verkehrsbetriebe werden wesentlich bessere Löhne gezahlt. In Marburg werde das städtische Unternehmen zum 1.1.2020 in den Tarifbereich der kommunalen Arbeitgeber gewechselt. Sie können nicht verstehen, warum das in Darmstadt nicht möglich sein soll.

Lohndumping per Gesetz

Um die Löhne im öffentlichen Nahverkehr zu drücken, hat sich die Politik zweierlei ausgedacht.  So gilt in Hessen seit 2004 für die Kommunen der Vorrang der europaweiten Ausschreibung bei der Vergabe von Linien des Nahverkehrs. Die in Darmstadt noch praktizierte Direktvergabe an kommunale Unternehmen ist nur noch als Ausnahme gedacht und an strenge Regeln gebunden. So müssen die Kosten des beauftragten Unternehmens mit denen eines „durchschnittlichen, gut geführten Unternehmens“ vergleichbar sein. Natürlich werden bei der europaweiten Ausschreibung die billigsten Anbieter bevorzugt. Dies bewirkte einen gnadenlosen Konkurrenzkampf, den die kommunalen Unternehmen mit den Tarifverträgen des Öffentlichen Dienstes nicht gewinnen konnten. Es begann die Tarifflucht. So lagerte die Darmstädter HEAG ihren Busbetrieb in ein spezielles Tochterunternehmen aus, das dem Tarifbereich der privaten Busunternehmen angehört.

Ein weiteres Gesetz, das Lohndumping befördert, ist das 2013 verabschiedete Personenbeförderungsgesetz des Bundes. Hierin wird geregelt, dass beim Ausschreibungsverfahren  auf jeden Fall solche Unternehmen den Vorrang bekommen, die eigenwirtschaftlich arbeiten, das heißt keine Zuschüsse von den Kommunen erhalten. Dies führt zu massiven Einkommensverlusten wie die Beispiele Pforzheim und Hildesheim zeigen. In Pforzheim verlieren über 200 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz, das kommunale Unternehmen wird abgewickelt. Der neue Anbieter hat erklärt, einigen Beschäftigten einen Arbeitsplatz anzubieten, bei Lohneinbußen bis zu 600 Euro pro Monat. In Hildesheim wurde ebenfalls ein eigenwirtschaftlicher Antrag gestellt, der Verkehr kann nur mit deutlicher Absenkung der Personalkosten eigenwirtschaftlich erbracht werden. Konzerne haben deutliche Vorteile gegenüber kommunalen Unternehmen und örtlichen tarifgebundenen Mittelständlern, denn sie können tariflose Töchter gründen und Betriebsmittel flexibel bundesweit verschieben.

Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs erfordert gute Arbeitsbedingungen

Die Folge dieser Gesetze sind niedrige Löhne, lange Arbeitszeiten und viel Stress.  Schon heute gibt es nicht genügend Personal und Buslinien können gar nicht oder nur sehr ausgedünnt fahren. Soll aber der CO2-Ausstoss vermindert werden, brauchen wir einen massiven Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs. Und die dort Beschäftigten brauchen ausreichende Löhne und attraktive Arbeitsbedingungen.

Auch aus diesem Grund erklärte sich das Darmstädter Bündnis „Global Climate Strike“ mit den Streikenden solidarisch und lud sie ein, mit ihren Forderungen an der Klimademonstration am 29.11. teilzunehmen.

Reinhard Raika
27.11.2019