Die Stadt als Arbeitgeberin: Bestenauslese statt Integration?

Schlechte Chancen für Schwerbehinderte auf eine Einstellung bei der Stadt Darmstadt und ihren Eigenbetrieben

Mit der Einstellungspraxis der Stadt Darmstadt und ihrer Eigenbetriebe beschäftigt sich ein Artikel der Stadtverordneten Martina Hübscher-Paul (DIE LINKE Darmstadt). Den Artikel entnehmen wir "Darmstadt Links" (Juni/Juli 2015), dem von der Linksfraktion herausgegebenen Informationsblatt.

Bis Mitte 2014 haben sich die Stadt und ihre Eigenbetriebe in Bewerbungsverfahren nicht an die selbstgesetzten Regeln für Schwerbehinderte gehalten: Bei Stellenausschreibungen unterblieb der Hinweis, dass „schwerbehinderte Menschen bei entsprechender Eignung bevorzugt eingestellt werden“, wie es in der Integrationsvereinbarung zwischen Stadt und Personalrat festgelegt ist. Darauf wurden wir von einem Betroffenen hingewiesen, der darüber hinaus bei seinem Bewerbungsgespräch Fragwürdiges erlebt hatte. Bis heute haben nicht alle Eigenbetriebe ihre Ausschreibungstexte angepasst, wie eine Blick auf die Homepage der Stadt am 17.5.2015 zeigte.

 

Tatsächlich ist nach dem angewendeten Stellenbesetzungsverfahren eine bevorzugte Einstellung von Schwerbehinderten oder anderen gesellschaftlich benachteiligten Gruppen auch kaum möglich. Denn die Eignung wird mit einem formalen System mit etwa 150 Punkten ermittelt, und die Bevorzugung kommt nur bei exakt gleicher Punktezahl zum Tragen. Das passiert natürlich nur sehr selten. In seiner Antwort auf unsere kleine Anfrage bestätigte OB Partsch, dass die Auswahl ausschließlich nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung im „System der Bestenauslese“ erfolge. Er begründet dies mit dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz (AGG), demzufolge eine solche Bevorzugung als Diskriminierung verboten sei. Diese Begründung ist jedoch nicht stichhaltig, denn §5 dieses Gesetzes lässt ausdrücklich positive Maßnahmen zu.

Diese unambitionierte Praxis wirft die Frage auf, wie es insgesamt um die Chancen von Schwerbehinderten auf eine Einstellung bei der Stadt Darmstadt steht. Aus den vielzitierten Schwerbehindertenquoten lässt sich dies nicht ablesen, da diese sich auf den Personalbestand beziehen und somit auch diejenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter enthalten, deren Handicap erst im Laufe ihres Berufslebens entstanden ist. Die Antwort des Oberbürgermeisters auf eine entsprechende Kleine Anfrage unserer Fraktion hat die Vermutung leider bestätigt: 2013 befanden sich unter den 157 Neueinstellungen nur 4 Menschen mit schwerer Behinderung, das sind gerade einmal 2,5%. In 2012 waren es sogar nur 1,3%. Ein Jahr zuvor war noch ein Anteil von 6% erreicht worden. Der Anteil erwerbsfähiger schwerbehinderter Menschen an der gesamten erwerbsfähigen Bevölkerung liegt bei etwa 6%, ebenso deren Anteil an den Erwerbslosen. Da öffentliche Arbeitgeber überdurchschnittlich gefordert sind, die Beschäftigung von Schwerbehinderten zu fördern, müsste die Stadt diesen Anteil bei ihren Einstellungen eigentlich überschreiten und nicht so deutlich verfehlen.

Schwerbehinderte haben also bei der Stadt Darmstadt deutlich schlechtere Chancen auf eine Einstellung als Menschen ohne Handicap. Um dies zu ändern, braucht es sicherlich mehr als die Überarbeitung von Ausschreibungstexten. Die Personalverantwortlichen müssen die Auswahlverfahren und vielleicht auch ihre Grundeinstellung zu überdenken. Um dies anzustoßen, haben wir durch einen Antrag in der Stadtverordnetenversammlung den Magistrat aufgefordert, die Ursachen für die niedrige Zahl von Neueinstellungen schwerbehinderter Menschen zu analysieren und Maßnahmen zur Verbesserung der Chancen schwerbehinderter Bewerberinnen und Bewerber abzuleiten. Erfreulicherweise wurde dieser Antrag einstimmig angenommen.

Das am 7.4.2015 mitgeteilte Ergebnis der Prüfung ist jedoch erbärmlich. In Kurzform: (1) Es bewerben sich zu wenig Schwerbehinderte, da kann man nichts machen. (2) Das Bewerbungsverfahren funktioniert nach dem Prinzip der strikten Bestenauslese, ist aber rechtskonform und sehr gut geeignet, qualifizierte Bewerber mit Schwerbehinderung gezielt zu fördern. (3) Ein Vergleich mit anderen Kommunen ist zu aufwändig. Also: Alles ist gut und kann so bleiben wie es ist.

Damit geben wir uns nicht zufrieden. Wir sind interessiert an Fällen, in denen schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber bei der Stadt Darmstadt trotz Eignung im Bewerbungsverfahren keine Förderung erfahren haben. Melden Sie sich per Mail oder telefonisch unter dem im Impressum angegebenen Kontakt (Mail: info@linksfraktion-darmstadt.de; Tel: 06151/6690310). Wir werden anregen, dass Linksfraktionen in anderen Kommunen ähnliche Anfragen stellen, damit die Darmstädter Neueinstellungsquoten vergleichbar werden. Eine Anfrage, um die Neueinstellungsquoten für 2014 zu ermitteln, ist bereits unterwegs. Wenn das Ergebnis wieder so schlecht ausfällt wie 2012 und 2013, werden wir dem Magistrat seine Selbstzufriedenheit nicht durchgehen lassen!

Martina Hübscher-Paul
27.07.2015
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