Falsches Alibi

VGH: Verkaufsoffener Palmsonntag 2013 war rechtswidrig

Verkaufsoffene Sonntage sind dem Darmstädter "Citymarketing" ein besonderes Anliegen. Doch sind sie in Hessen nur möglich im Zusammenhang mit einer tradtionellen Veranstaltung. Es scheint aber land auf land ab üblich zu sein, solche Traditionen willkürlich zu definieren. In Darmstadt musste 2013 ein sogenannter "Ostermarkt"  herhalten, um eine Öffnung der Geschäfte an einem Sonntag zu rechtfertigen. Dies wurde nun vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof nachträglich für rechtswidrig erklärt. Die Vertreter_innen des Vereins "Darmstadt Citymarketing" ziehen aus diesem Urteil den Schluss, nun eine Gesetzesänderung zu verlangen, um verkaufsoffene Sonntage leichter durchsetzen zu können. Im Folgenden veröffentlichen wir eine Stellungnahme von Horst Gobrecht, dem zuständigen ver.di-Sekretär für den Handel. Den Artikel entnehmen wir dem Info "Handeln. Informationen für Betriebsräte und Beschäftigte" (siehmaso)

„Der Gesetzgeber muss das Anlassprinzip aufheben“, so erklärte der sichtlich wütende Vertreter des Vereins „Darmstadt Citymarketing“ beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) am 15. Mai 2014 in Kassel, als sowohl er als auch der die Stadtverwaltung Darmstadt repräsentierende Leiter des Ordnungsamtes merkten, dass ihre Erfolgschancen schwanden. Offenbar gehen die im Citymarketing e.V. zusammengeschlossenen Darmstädter Einzelhändler davon aus, Recht müsse immer und ewig in ihrem Sinne gelten und gesprochen werden.
Diesen Wunsch erfüllten weder der Verlauf noch das Ergebnis des Berufungsverfahrens der Stadt Darmstadt gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Darmstadt im letzten Jahr, das den aus Anlass des „Ostermarktes“ am Palmsonntag, dem 24. März 2013, veranstalteten verkaufsoffenen Sonntag für rechtswidrig eingestuft hatte. Bereits eingangs wies der Vorsitzende Richter des 8. VGH-Senats darauf hin, dass nicht irgendwelche „Events“, sondern nur „gewichtige“ Veranstaltungen zum Anlass für das Erteilen einer Ausnahmegenehmigung einer sonntäglichen Ladenöffnung herangezogen werden dürften.
Dabei spiele das Drumherum – wie beispielsweise das Auftreten von Musikbands oder eine Spielecke für Kinder – keine besondere Rolle. Vielmehr müsse die Messe oder der Markt für sich, also eigenständig, in der Lage sein, eine beträchtliche Anzahl von Besuchern anzulocken. Nur dann könne von einem nach dem Hessischen Ladenöffnungsgesetz geforderten rechtmäßigen Anlass für einen verkaufsoffenen Sonntag die Rede sein.
Etwas überrascht zeigten sich die Richter, als sie erfuhren, dass der seit 2005 „traditionsreiche“, für Darmstadt angeblich so enorm wichtige und im städtischen Kulturprogramm einen festen Platz einnehmende „Ostermarkt“ in diesem Jahr überhaupt nicht (mehr) stattfand. Die Vertreter der Stadtverwaltung und des Citymarketing e.V. gaben als Grund für diese einzigartige kulturelle „Lücke“ in Darmstadt an, das Veranstalten von „Mobilitätsausstellung“ und „Ostermarkt“ in diesem Jahr hätte sie überfordert, so dass sie sich fürs erste „Event“ entschieden hätten. Jedoch wollte ausdrücklich keiner von beiden die Frage des Gerichts beantworten, ob der „Ostermarkt“ denn in den nächsten Jahren überhaupt noch einmal stattfinde.
Was dem im Auftrag der „Allianz für den freien Sonntag“ für das Evangelische Dekanat Darmstadt-Stadt und ver.di klagenden Leipziger Rechtsanwalt Dr. Friedrich Kühn schon auffiel, entdeckten auch die VGH-Richter: Im Internet warb der Citymarketing e.V. fast gar nicht für den „Ostermarkt“, dafür aber um so überschwänglicher für den verkaufsoffenen Sonntag. Der Vorsitzende Richter konnte wohl deshalb nur feststellen: „Das klingt nach Marketing und weniger nach Volksfest oder Jahrmarkt.“ Das „Einkaufserlebnis“ stehe klar im Vordergrund, während der „Ostermarkt“ nur „Beiwerk“ darstelle. Offenbar hätten selbst die Veranstalter gezweifelt, dass dieser „für sich allein zugkräftig“ genug gewesen sei, um den Anforderungen des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes zu ge-nügen.
Spätestens an dieser Stelle „kackte“ der Vertreter des Citymarketing e.V. gewaltig ab: Der Internet-Auftritt gehöre nicht ins Verfahren. Die Unterscheidung zwischen Haupt- und Beiwerk bei der Be¬urteilung des „Ostermarktes“ sei „lebensfremd“. Das Grundrecht der Einzelhändler auf Berufsfreiheit müsse gewahrt bleiben. In anderen Bundesländern wie Rheinland-Pfalz gäbe es überhaupt kein „Anlassprinzip“ für das Erteilen von Aus-nahmegenehmigungen für verkaufsoffene Sonntage. Die Einzelhändler wüssten durch die kurzfristigen Urteile in Eilverfahren der Gegner einer sonntäglichen Ladenöffnung erst  48 Stunden vor dem verkaufsoffenen Sonntag, ob er stattfinden könne.
Der aufgebrachte Befürworter des Sonntagsshoppings musste sich vom VGH-Richter anhören, die Gerichte könnten vor allem deshalb nur so kurz vor der Veranstaltung ent-scheiden, weil beispielsweise der Genehmigungsantrag des Citymarketing e.V. für den verkaufsoffenen Sonntag am 24. März 2013 erst zwölf Tage vorher gestellt und die Stadtverwaltung die so genannte „Allgemeinverfügung“ für diese Veranstaltung erst am 16. März veröffentlicht habe. Dadurch seien den Kritikern nur eine sehr kurze Wider-spruchsfrist und den Gerichten lediglich wenige Tage für ihre Urteile in den Eilverfahren verblieben. Niemand hindere die Veranstalter daran, die geplanten verkaufsoffenen Sonntage schon viel früher zu beantragen, damit ausreichend Zeit für eine gerichtliche Auseinandersetzung bestehe.
Darüber hinaus wies Rechtsanwalt Dr. Friedrich Kühn darauf hin, die obersten Verwaltungsgerichte in Bayern und Sachsen hätten die dortigen Regelungen für verkaufsoffene Sonntage ohne „Anlassprinzip“ als verfassungswidrig angesehen, so dass in einem aktuell laufenden Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz dies eben-falls so gesehen werden könne. Außerdem machte er auf das Urteil des Bundesverfas-sungsgerichts von 2009 aufmerksam. Dieses habe ausdrücklich dargelegt, der Sonntagsschutz werde umso wichtiger, je länger die Läden an Werktagen offengehalten werden dürften. Gerade in Hessen könnten sich die Einzelhändler nicht beklagen, bestehe hier doch von Montag 0 Uhr bis Samstag 24 Uhr die Erlaubnis zur Öffnung der Geschäfte. Doch gehe es um etwas anderes: Der „Ostermarkt“ habe seit seinem Bestehen niemals ohne verkaufsoffenen Sonntag stattgefunden, so dass von dessen „eigenständiger“ Bedeutung nicht ausgegangen werden könne. Auch am 24. März 2013 seien die Besucher vorrangig nicht für den „Ostermarkt“ in die Darmstädter Innenstadt gekommen, sondern fürs angebotene Shopping.
Hierzu stellte der Vertreter des Citymarketing e.V. den Beweisantrag, der VGH möge die Standbetreiber des letztjährigen „Ostermarktes“ befragen, dass „zahllose“, später konkretisierte er es auf „Hunderte“ Besucher sich ihnen gegenüber geäußert hätten, sie seien nur wegen des „Ostermarktes“ nach Darmstadt gekommen. Diesen wie weitere hilflose Anträge lehnte das Gericht ab, weil sie zur Entscheidungsfindung nichts Neues oder Wesentliches beitrügen. Zudem sage die Meinungsäußerung Einzelner nichts über die Motivation der Gesamtzahl der Besucher aus.
Der 8. Senat des VGH erklärte die sonntägliche Ladenöffnung am 24. März 2013 für rechtswidrig, da der angebliche „Ostermarkt“ dafür „kein hinreichender Anlass, sondern eine Alibiveranstaltung“ gewesen sei. Denn die meisten Besucher der Darmstädter Innenstadt hätten an diesem Tag über den Hintergrund des Marktes nichts erfahren, da die Werbung sich fast ausschließlich auf den verkaufsoffenen Sonntag bezogen habe. Sobald das Urteil des VGH schriftlich vorliegt, wird die „Allianz für den freien Sonntag“ prüfen, welche grundsätzliche Bedeutung die Entscheidung für ihr weiteres Engagement im Sinne des Sonntagsschutzes hat.

Horst Gobrecht (verdi)
20.05.2014
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