Darmstadt (noch) keine TTIP-, CETA-, TiSA-freie Kommune

Stadtverordnete lehnen Antrag ab. Interview mit Isolde Albrecht (Bündnis "Stoppt TTIP & Co Darmstadt.Dieburg")

Am 15.12.2016 brachten die Linksfraktion und die Fraktion UFFBASSE im Stadtparlament einen Antrag für eine TTIP-, CETA- und TiSA-freie Kommune Darmstadt ein. Dieser Antrag wurde mit knapper Mehrheit von CDU, SPD, FDP und AfD abgelehnt. Das Bündnis "Stoppt TTIP & Co Darmstadt.Dieburg" hatte zuvor 1.311 Unterschriften mit dem gleichen Ziel gesammelt. Diese Unterschriften wurden vor Beginn der Sitzung an die Stadtverordnetenvorsteherin Birgit Pörtner übergeben.

Wir sprachen mit Isolde Albrecht über die Diskussion und die Abstimmung im Stadtparlament. Isolde Albrecht ist eine der SprecherInnen des Bündnisses "Stoppt TTIP & Co Darmstadt.Dieburg" und Mitglied bei Attac Darmstadt.


Das Bündnis "Stoppt TTIP & Co Darmstadt.Dieburg" hat Unterschriften gesammelt für eine Petition zu einer TTIP-, CETA-, TiSA-freien Kommune Darmstadt. Ist das nicht eher eine Angelegenheit für den Bund oder gar die EU?

Isolde Albrecht: Freihandelsverträge wie TTIP, CETA und TiSA werden auf EU-Ebene geschlossen und sind seitens der EU-Mitgliedsstaaten zu ratifizieren. Zuständig für die Ratifizierung sind also die Bundesregierung und die EU. Allerdings greifen diese Verträge massiv in die parlamentarische Entscheidungsfreiheit und die Aufgaben von Bundesländern und Kommunen ein. Mit der Unterschriftensammlung wollten wir erreichen, dass die Darmstädter Stadtverordneten politisch Stellung gegen diese Verträge beziehen und dies gegenüber der Bundesregierung, dem Land Hessen und EU-Abgeordneten  vertreten.

Kannst Du die Betroffenheit der Kommunen am Beispiel Darmstadts konkretisieren?

Isolde Albrecht:

Besonders gravierende Eingriffe in die kommunalen Handlungsspielräume sind die Sonderklagerechte ausländischer Investoren, die auch für Kommunen gelten. So könnten Beschlüsse des Darmstädter Stadtparlaments  – etwa zur Erweiterung sozialer und ökologischer Auflagen –  Gegenstand von Investitionsschutzklagen mit hohen Schadensersatzforderungen werden.

Außerdem sehen diese Verträge im Interesse erweiterter kommerzieller Marktzugänge vielerlei Marktöffnungsverpflichtungen für kommunale Leistungen wie Wasser, Abfall, Gesundheit oder Soziales vor. Dies beschleunigt letztlich die Privatisierung und Kommerzialisierung der Daseinsvorsorge. Konkret lässt sich das anhand von CETA, dem europäisch-kanadischen Abkommen verdeutlichen, das ja bereits als unterzeichneter Vertragstext vorliegt: CETA sieht grundsätzlich für alle öffentlichen Leistungen, die so genannte Wettbewerbsanteile aufweisen, Marktöffnungen für transatlantische Anbieter vor. Für Darmstadt könnte das heißen, dass die Volkshochschule oder der Öffentliche Nahverkehr mit gewinnorientierten globalen Unternehmen konkurrieren müssten, die nicht an hiesige soziale Standards gebunden sind. Auch soziale Dienste, die in Darmstadt ja vielfach von gemeinnützigen Trägern wie der AWO oder dem Sozialkritischen Arbeitskreis angeboten werden, wären davon betroffen. Hinzu kommt, dass städtische Zuschüsse für solche gemeinnützigen Träger gerichtlich als "wettbewerbsverzerrend" angegriffen werden können. Dasselbe gilt für die städtische Bezuschussung von regionalen Kultureinrichtungen.

Ein weiteres Problem ist, dass städtische Aufträge zur Beschaffung von Waren, Bauleistungen oder sozialen Diensten nach CETA schon bei niedrigen Beträgen transatlantisch auszuschreiben und nach dem Grundsatz des niedrigsten Preises zu vergeben sind. Dies würde kommunale Handlungsprinzipen wie eine ökologische und soziale Nachhaltigkeit behindern. Denn ökologische oder regionale Kriterien sind bei der Auftragsvergabe unzulässig. Verstöße gegen Arbeitsnormen können nach CETA nicht geahndet werden. Das Nachsehen hätten die Region und auch kleinere regionale Unternehmen, die bei städtischen Aufträgen mit globalen Billiganbietern nicht mithalten können. 

Sehr undemokratisch sind bei CETA auch die Ratchet- und Stillstandsklausel, die besagen, dass Marktöffnungen und Privatisierungen nie mehr rückgängig gemacht werden können, egal wie negativ sie sich auswirken.

In Darmstadt wurden die Aktien des regionalen Stromanbieters ENTEGA von der Stadt wieder zurückgekauft. Wäre das nach CETA noch möglich?

Isolde Albrecht: Solche Rekommunalisierungen, die ja viele Städte aus gutem Grund anstreben, könnten nach CETA definitiv nicht mehr vorgenommen werden!

Gibt es andere Städte, die sich gegen Verträge wie TTIP und CETA ausgesprochen haben?

Isolde Albrecht: Europaweit haben sich bisher 2.119 Kommunen gegen diese Verträge positioniert. Städte wie Barcelona, Köln, München, Wien, Oxford, Dublin und Amsterdam sind bereits TTIP & CETA-frei, was natürlich symbolisch zu verstehen ist. Die Beschlüsse mehren sich wöchentlich. Man kann das auf der Homepage der europäischen Bewegung "TTIP free Zones" gut verfolgen.

Im Stadtparlament wurde am 15.12. Euer Anliegen von UFFBASSE und der Fraktion der LINKEN eingebracht. Wie haben sich die anderen Fraktionen verhalten?

Isolde Albrecht: Zunächst will ich Martina Hübscher-Paul von der Linksfraktion und Georg Hang von UFFBASSE danken, die sich sehr für den Antrag an die Stadtverordnetenversammlung eingesetzt haben.

Die Fraktion der GRÜNEN hat dem Antrag nach der Rede der Fraktionsvorsitzenden Hildegard Förster-Heldmann ausnahmslos zugestimmt. Das hat uns besonders gefreut, weil damit die Chancen gewachsen sind, den Protest gegen die anstehende Ratifizierung von CETA auf breitere Füße zu stellen.

Die SPD-Fraktion ist Brigitte Zypries gefolgt und hat den Antrag geschlossen abgelehnt. Zypries hatte mit Verbesserungen von CETA durch allerlei Zusatzerklärungen und durch Einrichtung eines internationalen Handelsgerichtshof argumentiert, der die umstrittenen privaten Schiedsgerichte bei Investitionsschutzverfahren ablösen soll. Enttäuschend ist, dass sich dem auch kritische SPDler  angeschlossen haben. Denn in öffentlichen Debatten ist hinreichend diskutiert, dass auch besagter Handelsgerichtshof ausländischen Investoren Sonderklagerechte außerhalb der Verfassung einräumt. Selbst der Deutsche Richterbund zweifelt den rechtstaatlichen Charakter eines solchen Handelsgerichtshofs an. Die 39 Zusatzerklärungen zu CETA haben - das dürften auch die JuristInnen in der SPD wissen -  keinerlei rechtliche Bindekraft und können bei Gericht zur Auslegung hinzugezogen werden.

Die CDU hat den Antrag ebenfalls abgeleht. Interessanterweise hat der Fraktionsvorsitzende Hartwig Jourdan die Freihandelsverträge nicht etwa als Fortschritt angepriesen. Vielmehr hat er sich auf die Position zurückgezogen, man habe ja bereits einen Beschluss gefasst, der die kritische Haltung des Deutschen Städtetags zu TTIP unterstützt.
UWIGA hat sich enthalten. Die FDP hat den Antrag erwartungsgemäß abgelehnt. Und der AfD war das Ganze zu kompliziert, weshalb sie auch gegen den Antrag votiert hat.

Wie geht es nach der Ablehnung des Antrags weiter?

Isolde Albrecht: Die Ablehnung des Antrags war denkbar knapp und die Argumentation der CDU nicht gerade TTIP-freundlich. Damit ist das Thema für Darmstadt nicht für alle Zeit vom Tisch. Auf kommunaler Ebene werden ja bezüglich solcher Verträge nicht völkerrechtlich wirksame Entscheidungen, sondern nur politische Meinungsäußerungen beschlossen.

Zunächst wird es jedoch darum gehen, der Ratifizierung von CETA entgegenzuwirken, die für 2017 auf Bundesebene ansteht. Hier kommt den Landesregierungen mit grüner Beteiligung eine wichtige Rolle zu. Denn wenn sich diese bei der Abstimmung im Bundesrat zumindest enthalten, sind der Bundesregierung bei der Ratifizierung die Hände gebunden. Mit der klaren Positionierung der Darmstädter Grünen gegen die Freihandelsverträge lässt sich in Hinblick auf die Haltung der grünen Landtagsfraktion gut weiterarbeiten. Auch mit TiSA, dem inzwischen weit fortgeschrittenen Dienstleistungsabkommen, wird in nächster Zeit einiges auf uns zukommen. Bislang haben sich die Proteste gegen diese Handelsverträge stetig erweitert. Wir vom Bündnis Stoppt TTIP & Co sind optimistisch, zusammen mit der europaweiten Protestbewegung noch einiges zu erreichen.

21.12.2016
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