45 Jahre Berufsverbote und kein Ende?

Ausstellung und Veranstaltung im Darmstädter Gewerkschaftshaus.

Vor 45 Jahren erließen die Ministerpräsidenten der Bundesländer unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Willy Brandt den sogenannten Radikalenerlass. Dadurch wurde festgelegt, dass zur Abwehr vermeintlicher Verfassungsfeinde „Personen, die nicht die Gewähr boten, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten“, aus dem öffentlichen Dienst ferngehalten beziehungsweise entlassen werden sollten.  In der Folge kam es bundesweit zu 11.000 offiziellen Berufsverbotsverfahren, 2.200 Disziplinarverfahren, 1.250 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen.

Dem Thema Berufsverbote widmet sich auch eine Ausstellung im Darmstädter Gewerkschaftshaus, die noch bis zum 24. Februar zu sehen ist. Auf achtzehn Stelltafeln wird die Geschichte der Berufsverbote in Deutschland vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart gezeigt. Die Ausstellung bietet einen umfassenden Blick zu Fragen politischer Verfolgung und Repression.

Begleitend zur Ausstellung fand am 4. Februar am gleichen Ort eine Veranstaltung mit Betroffenen statt. Eingeladen hierzu wurde vom „Bündnis Berufsverbote Hessen“, dem die GEW, die IG Metall, ver.di und die VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschitInnen) angehören. Wenn Jahre später Willy Brandt den Radikalenerlass einen „Irrtum“ nannte, so sollte hier darüber diskutiert werden, wie weit Repression, Berufsverbote und mehr als 3,5 Millionen Anfragen auf politische Überprüfungen durch den Verfassungsschutz auf die nachfolgenden Generationen und ihr politisches Engagement wirkten und noch immer wirken.

Silvia Gingold: „Kontinuität der Repression gegen Linke“

Als Betroffene berichteten Silvia Gingold und Michael Csaszkóczy über ihre Erfahrungen. Silvia Gingold erhielt 1974 Berufsverbot. Da sie an Demonstrationen z.B. gegen den Vietnamkrieg teilgenommen habe und Mitglied der DKP war, wurde ihr zuerst der Status einer „Beamtin auf Widerruf“ entzogen, erhielt zuerst einen Angestelltenvertrag und wurde später auch aus diesem entlassen.
Ihr Vater, Peter Gingold,  war jüdischer Kommunist und aktiv im illegalen Widerstand gegen das Naziregime. Um einer drohenden Verhaftung zu entgehen, floh er nach Frankreich. Nach der Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht schloss er sich der Resistance an, konnte nach einer Verhaftung fliehen und beteiligte sich im August 1944 am Aufstand zur Befreiung von Paris. Nach 1945 betätigten sich Silvia Gingolds Eltern in der KPD, und nach dem KPD-Verbot musste sie als Kind Hausdurchsuchungen miterleben. Am Beispiel des gegen sie vollzogenen Berufsverbots sieht sie daher eine Kontinuität der Repression gegen Linke durch den deutschen Staat.

Da ihr Vater in Frankreich als Mitglied der Resistance aber über eine gewisse Popularität verfügte, gab es dort breiten Protest gegen diese Maßnahme. Ihr Fall bekam dadurch auch hierzulande eine größere Öffentlichkeit als andere  Berufsverbote. Das Land Hessen sah sich so gezwungen, Silvia Gingold wieder als Lehrerin einzustellen; allerdings nicht als Beamtin, sondern als Angestellte, also mit erheblichen finanziellen Nachteilen.

Auch heute noch: Überwachung und geschwärzte Akten

Doch auch heute noch wird Silvia Gingold vom Verfassungsschutz überwacht. Sie forderte die Herausgabe ihrer Akte beim Verfassungsschutz und ging gerichtlich gegen ihre Überwachung vor. Sie erhielt umfangreiche Akten, die aber zu einem Großteil geschwärzt waren, angeblich um die Informanten zu schützen. Außerdem behauptete der Verfassungsschutz, sie werde gar nicht persönlich überwacht, sondern sei quasi „Beifang“ der Überwachung z.B. der VVN-BdA, die von der DKP gesteuert werde und eine sozialistische Gesellschaftsordnung anstrebe. Aber es fanden sich in den Akten auch Berichte über Vorträge, die Silvia Gingold z.B. bei Veranstaltungen des DGB oder beim Kasseler Ostermarsch gehalten hatte. Das Gericht allerdings stellte die Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Verfassungsschutzbehörde überhaupt nicht in Frage und schloss sich der Behauptung an, dass nicht gegen sie persönlich sondern gegen das politische Umfeld ermittelt werde, in dem sie tätig ist. Welche dieser Aktivitäten gegen die Verfassung verstoßen durfte aber nicht erörtert werden.

Verfassungsschutz als Partei

Von geschwärzten Akten wusste auch Michael Csaszkóczy zu berichten. Bei ihm gab es Vermerke, dass gleich einige hundert Seiten, nicht ausgehändigt wurden. Das Berufsverbot gegen Michael Csaszkóczy war der aktuellste Fall von Berufsverbot. Zwar ist bei Einstellung im Öffentlichen Dienst die Regelanfrage beim Verfassungsschutz abgeschafft, doch gibt es die Möglichkeit, dass der Geheimdienst von sich aus auf die Behörden zugeht und auf „extremistische“ Aktivitäten von Bewerbern hinweist. Bei ihm war es sein Engagement in einer Heidelberger antifaschistischen Initiative, in der VVN-BdA und der Roten Hilfe, die ihm 2003 ein Berufsverbot einbrachte.

Michael Csaszkóczy stellte fest, dass es ganz im Ermessen des Verfassungsschutzes liege, welche Gruppierungen als extremistisch und „verfassungsfeindlich“ eingestuft werden. Es seien vornehmlich linke und antifaschistische Gruppen, die in diesem Sinne eingeordnet werden. Bewegungen wie Pegida seien davon aber nicht betroffen, und gegen ein Afd-Mitglied wie Bernd Höcke, der eine „erinnerungspolitische Kehrtwende“ forderte, werde der Verfassungsschutz mit Sicherheit keine Akte anlegen. Der Verfassungsschutz, den er als Inlandsgeheimdienst bezeichnete, sei somit selbst Partei, weil er entscheide, welche Aktivisten mit Beobachtung und Repression zu rechnen haben. In seinem Fall konnten breite Proteste eine Einstellung in den hessischen Schuldienst ab 2007 bewirken.

Öffentlichkeit hilft

Auch im Publikum waren mehrere Menschen, die Opfer der Berufsverbotspraxis wurden und über ihre Erfahrungen berichteten. Doch auch heute verfehlt der Radikalenerlass nicht seine Wirkung. So fragten jüngere Besucher, wie weit sie in ihrem politischen Engagement gehen könnten ohne Gefahr zu laufen, vom Berufsverbot oder ähnlichen Repressionen betroffen zu werden. Sowohl Silvia Gingold als auch Michael Csaszkóczy erklärten, dass es nicht Sinn solcher Veranstaltungen sei, den Menschen Angst vor politischem Engagement zu machen. Es komme vielmehr darauf an, Öffentlichkeit über die Praktiken des Verfassungsschutzes herzustellen. Und dies sei auch das beste Mittel, um Repressionen vorzubeugen.

Reinhard Raika
07.02.2017
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