Abgelehnt – Ich will nicht zurück nach Afghanistan

Jugendliche in der Heimstättensiedlung wehren sich

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Vor Reisen nach Afghanistan wird gewarnt.

Bombenanschläge, bewaffnete Überfälle und Entführungen gehören seit Jahren in allen Teilen von Afghanistan zum Angriffsspektrum der regierungsfeindlichen Kräfte. (…) Wer dennoch reist, muss sich der Gefährdung durch terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte einschließlich Entführungen bewusst sein.

(Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitsrichtlinien für Afghanistan)

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Sie kamen vor etwa zwei Jahren als unbegleitete Jugendliche nach Deutschland und sind schließlich in Darmstadt gelandet. Sie haben Deutschkurse absolviert, besuchen die Schule oder machen ein Praktikum. In Darmstadt fühlen sie sich sicher und hatten Pläne für ihre Zukunft.

Doch es kam anders. Ihre Asylanträge wurden abgelehnt. Und da es in Afghanistan sichere Gebiete gebe, erhielten sie auch keinen Schutz als Flüchtlinge. Trotz der Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes hat die Bundesregierung mit Afghanistan ein „Rückführungsabkommen“ geschlossen,  das Abschiebungen ermöglicht. In den Ablehnungsbescheiden für afghanische Asylbewerber_innen wird dem entsprechend immer wieder die Existenz sicherer Regionen behauptet, in die gefahrlos abgeschoben werden könne. Auch wenn nach dem verheerenden Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul zurzeit nur eingeschränkt abgeschoben wird, schwebt die Gefahr der Abschiebung als Damoklesschwert über den Betroffenen.

Afghanische Jugendliche aus der Heimstättensiedlung  wollen sich damit nicht abfinden. Sie haben sich überlegt, wie sie ihr Anliegen in die Öffentlichkeit bringen können. Aref, Bijan, Samin und Ali Reza  haben einen Film gedreht, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Dieser Film wurde am 9.11. im Gemeindehaus der Mathäusgemeinde einem interessierten Publikum gezeigt.

Die Mission Leben – Jugend- und Behindertenhilfe  und die Evangelische Matthäusgemeinde hatten zu der Veranstaltung eingeladen. Pfarrer Schwöbel begrüßte im überfüllten Saal die Besucher_innen und führte durch den Abend. Er wies auf die Flüchtlingsarbeit seiner Gemeinde hin und wie dabei aus Fremden Freunde wurden. Der Film selbst dauerte nur wenige Minuten, zeigte aber sehr eindrucksvoll die Enttäuschung der Jugendlichen über die Ablehnung und den Willen, trotz aller Probleme in Deutschland zu bleiben und dafür zu kämpfen.

Bernd Mesovic von Pro Asyl wies darauf hin, dass die Entscheidungen über die Asylanträge oft von kaum geschulten Personal getroffen werden, das für den Einzelfall nur wenig Zeit hat. Der Ablehnungsbescheid besteht deshalb vor allem aus Textbausteinen. Wenn die Bescheide der Jugendlichen verglichen würden, wären diese bestimmt zu etwa 70 Prozent gleich lautend. Trotz der großen Gefahren sei es vor Gericht mittlerweile ein akzeptiertes Argument, dass es in Afghanistan auch sichere Gebiete gebe. Geradezu zynisch sei es, die Zahl der Todesopfer in Relation zur Einwohnerzahl einer Region zu nehmen und daraus die „Sicherheit“ auszurechnen. (So fand das Bundesverwaltungsgericht 2011, ein Verhältnis zwischen Opfern und Bewohnern von 1 zu 800, beziehungsweise eine Sterbewahrscheinlichkeit von 0,125 Prozent sei kein Problem.)

Die Gefahr in Afghanistan sei für Rückkehrer aber besonders groß, da bei ihnen Geld vermutet wird, und sie daher leicht zum Ziel von Erpressungen werden könnten. Viele afghanische Jugendliche seien zudem im Iran aufgewachsen oder sogar geboren. Die sehr viel strengeren Sitten und Gebräuche in Afghanistan seinen ihnen daher völlig fremd.

Im Publikum waren auch viele afghanische Jugendliche mit gleichem Schicksal. Viele von ihnen beteiligten sich an der Fragerunde. Sie nutzten die Gelegenheit, um Luft abzulassen oder gaben selbst Antwort auf Fragen. Einer bittet die Anwesenden um Vertrauen, da sie keine Terroristen seien. In Afghanistan gebe es aber Terror, sonst wären sie nicht hier. Einige berichteten, wie sie selbst Zeugen von terroristischer Gewalt wurden. Deutlich wurde auch die Ratlosigkeit vieler Jugendlicher nach der Ablehnung. Sie hatte Pläne für sich und die wurden jetzt kaputt gemacht.

Aufgelockert wurde die Veranstaltung durch musikalische Beiträge von zwei Jugendlichen, die ihre Probleme als Rap vortrugen. Hossein, einer von ihnen, trug am Ende einen Text vor, der die Situation der Jugendlichen darstellt, ihre Probleme, aber auch ihre Hoffnungen. Hoffnungen, die durch Ablehnungen zerstört werden.

Hossein:

Über Probleme kann ich jetzt nicht erzählen, aber trotzdem, ich will ein gutes Leben.

Mein Vater wollte mich als König sehen, er wollte mir immer ein gutes Leben geben.

Ich will auch so wie die anderen Jugendlichen schlafen und erreichen meine Ziele.

Mein Leben war die Hölle, verbrannte wie Kohle,

Mein Herz tut weh, wenn ich das schon wieder fühle, aber jetzt bin ich in Sicherheit und besuche die Schule.

Mama ich habe es geschafft, ich habe Gas gegeben,tut mir leid Mama, dort konnte ich nicht länger leben.

Ich bin ein Jugendlicher mit schwarzen Haaren,versteh bitte: Flucht ist nicht Taxifahren.

Reinhard Raika
12.11.2017
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