Studentenbegegnung im Krisengebiet

Deutsche und palästinensische Studierende treffen sich im Westjordanland

An der Einfahrt zum Campus der palästinensischen Birzeit-Universtität vor den Toren Ramallahs steht ein rot-weißes Schild. Darauf ist ein Revolver abgebildet, in arabischer Schrift wird darauf hingewiesen, dass auf dem Universitätsgelände keine Schusswaffen mitgeführt werden dürfen. Einige der deutschen Studierenden, die in einem Reisebus die Einfahrt passieren, fotografieren das Schild. An ihrer Universität gibt es solche Schilder nicht.
Es ist Mitte September 2012. Die deutschen Studierenden aus verschiedenen Fachrichtungen gehören einer Exkursionsgruppe der Technischen Universität Darmstadt an. Seit zwei Wochen reisen sie, begleitet von einigen Dozent_innen, durch Israel, um sich ein Bild von der dortigen Kultur, aber auch von dem Nahostkonflikt zu machen. Am letzten Tag der Exkursion sind sie nun in Ramallah, im palästinensischen Autonomiegebiet, um hier mit Menschen zu sprechen, die in ihrem Alltag von dem Konflikt betroffen sind.

Nachdem die Besucher aus Darmstadt ihren Bus verlassen haben, werden sie von einigen Hilfswissenschaftler_innen in einen Besprechungsraum in einem der sandsteinfarbenen Gebäude der Universität geführt. Dort warten bereits einige Studierende und Dozent_innen. Die wenigen Sitzplätze sind bald belegt. Immer wieder kommen Nachzügler hinzu. Das Gespräch wird auf Englisch geführt. Zunächst geben die Dozent_innen einen Einblick in den Lehrbetrieb. Nibal Thawabteh ist Lehrbeauftragte für Journalismus, einer der wichtigsten Fachrichtungen der Universität. „Dieses Studium ist sehr gefragt“, sagt sie, „Auf dem internationalen Arbeitsmarkt haben hiesige Absolventen gute Chancen. Viele Mitarbeiter von Al-Dschasira kommen von hier.“ Die finanzielle Abhängigkeit palästinensischer Medien von ausländischen Geldern stelle indes bisweilen ein Problem für die Pressefreiheit in den Autonomiegebieten dar. „Ich schrieb früher für eine Zeitung, die von der Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt wurde“, erzählt Tawabteh, „als ich einen kritischen Artikel über die israelische Siedlungspolitik schrieb, verboten sie mir, den Artikel zu veröffentlichen, und drohten, sonst die Finanzhilfe zu streichen.“ Tawabteh kündigte, seitdem unterrichtet sie an der palästinensischen Universität.  Der dortige Lernbetrieb wird laut den Dozent_innen von der israelischen Sicherheitspolitik erschwert. „Wegen der strengen Kontrollen brauchen Studierende von außerhalb viel Zeit, um auf den Campus zu gelangen“, sagt Ryad Deis, ebenfalls Dozent für Journalismus, „Seit 2005 hatten wir deshalb niemanden mehr aus dem Gazastreifen hier.“ Zudem seien die Studenten der Birzeit-Universität Repressionen seitens der israelischen Polizei ausgesetzt. Eine Woche vor der Ankunft der Besucher sei einer von ihnen verhaftet worden. „Niemand weiß, was ihm vorgeworfen wird“, klagt Deis.

Die palästinensischen Studierenden halten sich während des gut einstündigen Gesprächs zurück. Nach einem kurzen Imbiss in der Mensa führen jedoch ein paar von ihnen die Besucher_innen über den Campus, hier werden einige vorsichtige Kontakte geknüpft. Großes Interesse erregt das Dortmund-Trikot eines der Darmstädter. Nach dem Rundgang ist das Treffen beendet. Als der Bus den Campus verlässt wirken die Mienen der Besucher_innen aus Deutschland nachdenklich. Offensichtlich sind hier nicht nur die Hinweisschilder anders als an der TU Darmstadt.

Konrad Bülow
06.02.2013
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