"Community for All"

Demonstration gegen Abschiebegefängnis in Eberstadt

Für das Bündnis "Community for All" war die Demonstration vom 20. Januar ein voller Erfolg. Das Bündnis wendet sich gegen die Errichtung eines Abschiebegefängnisses in Eberstadt, wie es vom Hessischen Landtag beschlossen wurde. Im Bündnis wirken unter anderem die Organisationen ARM (Afghan Refugee Movement), agis (Antirassistische Gruppe Internationale Solidarität), AKS (Arbeitskreis kritische Sozialarbeit), amnesty international - Hochschulgruppe, die ASTEN der drei Hochschulen, DIE LINKE, GEW, Lernfabriken meutern, SDS, IL (interventionistische Linke)  mit. 800 bis 900 Menschen beteiligten sich trotz strömenden Regens an der Demonstration.

Vor dem Parteibüro der GRÜNEN redete  Dieter Peppel-Voß vom Pfungstädter Asylkreis. Er erläuterte, dass Abschiebegefängnisse keineswegs für kriminelle Flüchtlinge gebaut werden. Wir dokumentieren im Folgenden seine Rede:

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Hallo,

neulich sprach ich  mit einem Mann über Abschiebungen  und den geplanten Abschiebeknast in Eberstadt. In der Zeitung steht immer, sagte er,  dass es sich bei den Abgeschobenen um Kriminelle handelt und um Leute, die kein Recht auf Asyl haben. Und bevor man sie abschiebt, muss man sie halt sammeln – sonst hauen sie ja ab.  Also, wo ist das Problem? Ist doch alles in Ordnung, sagte er.

Mein Name ist Dieter Peppel. Ich betreue Flüchtlinge in Pfungstadt seit ca. 2 Jahren. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es nicht so einfach und schon gar nicht in Ordnung ist.

Wie kommt man als Geflüchteter in die Situation abgeschoben zu werden?

Die Bundesregierung sagt, die Entscheidung über die Asylberechtigung erfolgt in sorgfältiger Einzelfallprüfung. Ich sage dazu: Das stimmt nicht.

Die Grundlage für die Entscheidung über einen Asylantrag ist das Interview beim BAMF. Ich war bei einem solchen Interview dabei. Es ging um einen jungen Mann aus Pakistan, der einer dort verfolgten religiösen Minderheit angehört.

Gleich zu Beginn des Interviews ermahnte der Interviewer den Geflüchteten, nicht über die allgemeine Situation seiner Minderheit zu sprechen. Dies sei bekannt. Im Übrigen solle er nur schildern, was 2 Monate vor seiner Flucht geschehen sei. Ihm wurde keine Chance gegeben, seine Auseinandersetzungen mit den extremistischen Mullhas  darzustellen,  wie diese den Druck auf ihn immer weiter erhöht hatten und was er alles erleben musste, bis er sich schließlich zur Flucht entschied. Der Interviewer betonte mehrfach, dass der Geflüchtete liefern müsse. Ihm war nicht genug, dass der junge Mann in seiner Heimat ständig bedroht und erniedrigt , mit Waffen eingeschüchtert und sogar eingesperrt worden war und dass letztlich auch Drohungen gegenüber seinen Eltern ausgesprochen wurden. Er war wohl der Meinung, dass Geflüchtete ohne erkennbare körperliche Verletzungen kein Recht auf Asyl hätten.

Das Interview dauerte 4 Stunden. Mir wurde verboten mitzuschreiben. Da ich es trotzdem tat, wurde ein Ordnungshüter gerufen, der mir die Notizen mit der Begründung abnahm, diese seien Eigentum des Hauses.

Der Geflüchtete hat am Ende das Protokoll dieses Interviews nicht mit seiner Unterschrift bestätigt. Sein Asylantrag wurde natürlich nicht bewilligt. Wir haben Klage eingereicht.

Man könnte nun sagen, das ist ein Einzelfall. Allerdings:

Von den vielen jungen geflüchteten Männern, die ich kenne, hat bis auf einen keiner eine Anerkennung seines Asylbegehrens bekommen. Und das obwohl darunter Afghanen sind, die in ihrer Heimat für die Amerikaner als Übersetzer oder Fahrer gearbeitet haben. Wenn die zurückkehren müssen, sind sie sofortiger Verfolgung und Lebensgefahr ausgesetzt. Sie gelten den Taliban als Gottlose und Vaterlandsverräter. Ihnen droht der Tod oder sie werden gezwungen, für die Taliban zu arbeiten. Wollen wir das?

Andere Geflüchtete, die ich kenne,  gehören verfolgten ethnischen oder religiösen Minderheiten an. Auch das ist kein Grund, ihnen Asyl zu gewähren. In den Beurteilungen des BAMF wird zwar allen eine gewisse Bedrohungslage zugebilligt. Gleichzeitig wird aber  behauptet, sie könnten in der Anonymität einer Großstadt in ihrem Land untertauchen.

Abgesehen davon, dass die Zivilbevölkerung in den afghanischen Großstädten ständig durch Anschläge bedroht ist, ist die Behauptung Schutz durch Anonymität erlangen zu können, schlicht falsch. Das mag für unsere Gesellschaft und die starke Vereinzelung in unseren Großstädten gelten. In Gesellschaften wie der afghanischen oder der pakistanischen hat man es mit Großfamilien zu tun, deren Mitglieder traditionell in starker Abhängigkeit voneinander leben. Ihre Kontakte und Informationskanäle sind wesentlich stärker ausgeprägt als bei uns. Dementsprechend auch die Kenntnisse voneinander. Die Taliban sind auch Teile von Großfamilien. Sie leben nicht isoliert in den Bergen, sie sind in engem Kontakt mit vielen Menschen, die sie z.T. umgarnen, unter Druck setzen oder erpressen. Sie sind eine Macht in diesen Ländern und besitzen viele Informationsmöglichkeiten. Keiner kann sich auf Dauer sicher vor ihnen fühlen. Auch nicht in einer Großstadt.

Gerade veröffentlichte Zahlen bestätigen den Eindruck, dass die BAMF-Interviews und die darauf beruhenden Urteile über die Asylberechtigung ein glatter Hohn sind.  Über 40% der durch das BAMF abgelehnten Asylanträge, die in das Klageverfahren gekommen sind, sind von den Verwaltungsgerichten kassiert worden. Also:40% der vom BAMF abgelehnten Flüchtlinge sind, wenn sie geklagt haben, als asylberechtigt eingestuft worden. Das ist eine sehr hohe Zahl.

Sie zeigt einerseits, dass wir noch ein erhebliches Maß an Rechtsstaatlichkeit haben. Sie zeigt aber auch, dass die ausführende Gewalt, in diesem Fall das BAMF sehr tendenziöse Entscheidungen trifft. Die Regierung will Erfolgszahlen vorweisen, sie will, ohne Rücksicht auf Verluste, die Rechten beruhigen. Da müssen halt mal ein paar junge Männer dran glauben.

Den abgelehnten Flüchtlingen haben wir geholfen zu klagen. Wir hoffen auf ein gutes Ende, obwohl bisher noch keiner von ihnen die Erlaubnis bekommen hat, hier bleiben zu dürfen.

Man könnte jetzt sagen: Na also – dann bekommen die richtigen Flüchtlinge bei uns doch ihr Recht. Was aber ist mit all jenen Flüchtlingen, die keine deutschen Betreuer haben, die mit ihnen zum Rechtsanwalt gehen, und  mit denen, die nicht wissen, was sie nach der Ablehnung ihres Antrags machen sollen?

Oder mit denen, die nach ihrem Interview ewig keine Antwort vom BAMF bekommen und denen das Amt plötzlich bescheinigt, sie seien untergetaucht oder hätten ihrem Bescheid nicht widersprochen. In Pfungstadt gibt es mindestens 5 solcher Fälle, die auf die Abschussliste gekommen sind, weil das BAMF nicht für eine sachgemäße Postzustellung achtet. Es lässt den Empfang der Post nicht durch den Empfänger bestätigen. Der Bescheid versackt dann irgendwo oder wird wieder zurückgeschickt.  Ohne das Eingreifen der Betreuer wären auch diese Flüchtlinge durch den Rost gefallen – unabhängig von ihrer Berechtigung auf Asyl.

Ohne die Unterstützung von deutschen Betreuern landen  solche Leute unweigerlich irgendwann in einem Abschiebeknast, wie er in Eberstadt eingerichtet werden soll. Es wird dann gesagt, das seien welche, die nicht an ihrem Asylverfahren oder an ihrer Passbeschaffung mitgearbeitet hätten.

Im Abschiebeknast landen nämlich nicht die, die hier Verbrechen begangen haben. Leute wie Anis Amri werden zu Recht im Gefängnis sicherheitsverwahrt. Im Abschiebeknast landen viele derer, die zu Unrecht abgelehnt wurden und nicht wussten, was zu tun war. Könnt ihr euch vorstellen, was das für diese Leute bedeutet. Zu wissen, dass man eingesperrt ist, um auf seinen Flieger zu warten, der einen dorthin bringt, wo man wieder mit Verfolgung und Lebensgefahr rechnen muss.

In Bayern gibt es einen Abschiebeknast innerhalb eines Wohngebiets. In einem Fernsehbeitrag beschwerten sich die Anwohner über die ständigen Schreie und das Gepolter, das aus dem Gebäude kommt. Es sei unerträglich, sagten sie. Und einige hatten auch Verständnis für die, die dort warten müssen. Die bayerische Landesregierung versprach Abhilfe durch den Einbau von mehrfach verglasten Fenstern.

Kann man solche Zustände in einem Land zulassen, das sich freiheitlich und christlich nennt?

Dieter Peppel-Voß
21.01.2018
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