"Modernisierungen" im Spessartring/Rhönring:

Die alten MieterInnen werden verdrängt - die Bauverein AG saniert ihre Profite

Im Spessartring/Rhönring werden rund 50 Gebäude mit 900 Wohnungen des Bauvereins modernisiert. Die Modernisierung ist nun für die ersten ca. 20 Wohnungen abgeschlossen. Bis 2020 sollen die übrigen Wohnungen fertig sein. Der markante Straßenzug in Darmstadts Norden wurde vor fast hundert Jahren von dem Architekten Buxbaum erbaut.

Modernisierung treibt die Mieten hoch

Die Modernisierung von Wohnungen wird abgegrenzt von der Instandhaltung. Instandhaltung heißt, der Vermieter muss dem Mieter die Wohnung in einem geeigneten Zustand über­lassen und erhalten. Alle Schäden und Mängel die nicht vom Mieter verursacht wur­den, sind vom Vermieter zu beheben. Zur Durchführung der Reparaturen ist der Vermieter verpflichtet, dafür kann er keine Mieterhöhung verlangen.

Modernisierungen dagegen können zu einer Mieterhöhung führen. Modernisierungen müs­sen echte Wohnwertverbesserungen sein, wie z. B. Wärmedämmung, Schallschutzmaßnah­men und der Einbau von energiesparende Heizungs- und Warmwasser­anlagen. Nach Abschluss der Modernisierung kann der Vermieter 11 Prozent der Modernisierungskosten pro Jahr auf die Miete aufschlagen.

Für die Investoren auf dem Wohnungsmarkt ist dies ein großes Geschäft. Der deutsche Mieterbund schlägt deswegen Alarm und rechnet vor, wie gut die Wohnungsbauinvestoren an der Modernisierung verdienen. Die Miete steige 3 Mal und in Extremfällen 10 Mal so hoch wie im Gegenzug die Energiekosten für die Mieter sinken. Viele Wohnungsunternehmen nutzen die gesetzlich erlaubte Erhöhung von elf Prozent fast ganz aus – und das zeitlich unbegrenzt, auch wenn die Kosten für die Maßnahme längst abbezahlt sind. So verdient ein Wohnungsunternehmen kräftig an diesem Modell der „Modernisierung“ und bezahlen tut es der Mieter. Ein prima Geschäft der Immobilienhaie.

Und der Bauverein?

Der „Bauverein für Arbeiterwohnungen“ wurde 1864 gegründet, um den dringend benötigten Wohnraum zu bauen. 1990 wird er in „Bauverein AG“ umbenannt. „Als Immobilientochter der Stadt leistet die Bauverein AG seit ihrer Gründung einen wichtigen Beitrag, um bezahlbaren Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten zu schaffen“, heißt es auf der aktuellen Internetseite der Bauverein AG. Aufsichtsratsvorsitzender ist der CDU-Stadtverordnete Roland Desch, stellvertretende Vorsitzende ist Hildegard Förster-Heldmann von den Grünen. Man sollte also meinen, dass der Bauverein der kommunalen Daseinsvorsorge verpflichtet ist, was bedeuten soll, dass die Stadt Darmstadt soziale und kulturelle Dienstleistungen für alle BürgerInnen bereitstellt gemäß dem Sozialstaatsprinzip in Artikel 20 Grundgesetz.

Leider weit gefehlt.

Modernisierung der Wohnungen im Spessartring/Rhönring

Die Erfahrungen mit der abgeschlossenen „Modernisierung“ der ersten 20 Wohnungen ist niederschmetternd. Nachdem der erste Modernisierungsabschnitt im Spessartring abgeschlossen war, präsentierte die Bauverein AG seinen Mietern die „Rechnung“. Die Mieten stiegen pro m² um 1,50 €, das bedeutet Mieterhöhungen von 15 – 20 %. Die Bauverein AG lobte sich dabei selber, dass sie nicht die erlaubten 11 % der Modernisierungskosten pro Jahr aufschlage, sondern nur 10,23 %. Die Mieterhöhungen betragen für eine 3-Zimmer-Wohnung bis zu 200 €.

Was wurde nun „modernisiert“?

Die vorher teilweise funktionsuntüchtigen Fenster wurden durch doppelverglaste Fenster erneuert – auch einige der funktionstüchtigen Doppelglasfenster. Eine Reihe der neuen Fenster schließt aber nicht richtig.

Die Schalldämmung der Fenster (nebendran verläuft der vielbefahren Spessartring) hat sich nicht verbessert; die Mieter berichten teilweise sogar von einer Verschlechterung.

Zwar wurden die Dachziegel erneuert (Instandhaltung), aber darunter lediglich eine Folie gezogen. In einem Haus ist nach Protesten eine nachträgliche Isolierung von einer 2 cm-Dämmplatte unter den Dachziegeln angebracht worden.

  • Die Wärmedämmungsmaßnahme bestand in den anderen Häusern ausschließlich in der Anbringung einer 2 cm-Dämplatte auf dem Dachboden.
  • Die Kellerisolierung beschränkte sich auf das Anbringen von Bauschaum an der Kellerdecke.
  • Der Wärmekennwert veränderte sich nur minimal; nach eigenen Berechnungen der Mieter brachte er allerhöchstens eine Energieersparnis von 5 € pro Wohnung im Monat,
  • Die Klingelanlage wurde erneuert. Statt einem gibt es 2 Klingeltöne. Es gibt nun zwar eine Gegensprechanlage, die aber in einigen Häusern bereits vorher existierte.
  • Die Brandmeldeanlage ist nicht untereinander verbunden. Der Auslöser befindet sich in 2,60 m Höhe.
  • In allen modernisierten Häusern ist der Brandschutz nicht gewährleistet, da die Brandschutzanlage deaktiviert und einige Kabel einfach abgetrennt wurden. Auch wird sie nicht gewartet (obwohl den Mietern Wartungskosten abverlangt werden).
  • Die Modernisierung wurde anscheinend unfachmännisch vorgenommen, so dass viele zusätzliche Wärme-/Kältebrücken entstanden. Die vorhandene Schimmelbildung in den Wohnungen hat nicht ab, sondern zugenommen.
  • Das Wasserabflussrohr an den Balkonen wurde 5 cm über dem Balkonboden angebracht.
  • Die alten Sicherungskästen mit Drehsicherungen wurden nicht erneuert. Daran wurden lediglich neue Kabel angeschlossen, mir einem fragwürdigen niedrigem Durchmesser.
  • Ein Schmankerl: der Bauverein stellte groß heraus, dass es nun ein Parkplatz mit Ladestation für ein E-Auto gebe. Nur hat keiner der Bewohner ein E-Auto, 2 normale Parkplätze mussten dafür weichen und als einziges E-Auto in den letzten Wochen wurde ein Auto der Entega aufgeladen.

Instandhaltung?

Wie oben beschrieben ist der Vermieter für die Instandhaltung der Wohnungen zuständig und darf dafür keine Erhöhung der Mieten verlangen. Nach Aussagen der MieterInnen wurden in den letzten 60 Jahren vom Bauverein keine nennenswerten Instandhaltungen vorgenommen, in einigen Fällen nur das allernötigste, um die Bewohnbarkeit der Wohnung zu sichern. Die meisten Instandhaltungsarbeiten haben die MieterInnen selbst vorgenommen.

Zusammen mit der „Modernisierung“ wurden die Häuser von außen gestrichen und das Dach neu gedeckt. Aber: Das Aufstellen der Baugerüste für den Außenanstrich wurde zu 60 % auf die Modernisierungskosten angerechnet.

Die Bauarbeiten

Die Bauarbeiten dauerten ein gutes Jahr. Die Arbeiten wurden nicht von Billig-, sondern von Billigstfirmen durchgeführt. Kaum einer der Arbeiter sprach deutsch. Die Bauleitung wurde von den MieterInnen als total inkompetent bezeichnet. Einige Beispiele:

  • Der Außenputz wurde mit zu starken Druck mit einem Wasserstrahlgerät abgesprüht. Die Folge. Das Wasser kam durch die Wände, einige Zimmer standen unter Wasser, der Putz im Innenbereich sprang und bröckelte von der Wand.
  • Im Winter wurde die Heizung bei -2 Grad Außentemperatur für 3 Tage abgestellt.
  • Wiederholt wurde das Wasser ohne Vorankündigung für 2 Tage abgestellt.
  • Die ausgebauten Fenster wurden wochenlang durch einfache Folien ersetzt.
  • Auch wochenlang gab es während der Heizperiode kein Dach.
  • Ein Graben wurde am Haus entlang von parkenden Autos ausgehoben, so dass diese tagelang nicht wegfahren konnten.
  • Elektroleitungen wurden einfach abgeklemmt und es bestand die Gefahr von Stromschlägen.
  • Viele Kabel lagen wochenlang als Stolperfallen in den Wohnungen und im Hausflur.
  • Immer wieder fiel während der Bauarbeiten der Putz von den Wänden und der Decke.

Normalerweise gewährt eine Vermieter für erträgliche Einschränkungen eine deutliche Mietminderung. Die Bauverein AG bot für die gesamte Dauer der ca. 1-jährigen Bauarbeiten eine einmalige Mietminderung von 300-500 € an. MieterInnen, die sich darüber beschwerten, bekamen Besuch von gleich drei Herren des Bauvereinsvorstands, der Bauleitung und eines Juristen. Natürlich wurde so versucht, die MieterInnen einzuschüchtern.

Hinter den zahlreichen Baumängeln steckt nicht das Prinzip Zufall oder nur Inkompetenz. Dahinter steckt eine Geschäftspolitik zu Lasten der MieterInnen und der Menschen, der schnelle Profit der Aktiengesellschaft geht über alles.

Alte und „sozial schwache“ MieterInnen werden herausgedrängt

In den Wohnungen im Spessart-/Rhönring wohnen überdurchschnittlich viele Alleinerziehende, die nicht gerade viel verdienen und viele alte Menschen mit einer geringen Rente. Eine Mieterhöhung von 150-200 € können diese MieterInnen nicht mehr verkraften. Eine ganze Reihe von ihnen wird gezwungen sein auszuziehen. Das lohnt sich wiederum für die Bauverein AG: bei einer Neuvermietung können sie die Miete nochmals erhöhen. Die alten BewohnerInnen werden verdrängt, neues zahlungskräftigeres Klientel zieht ein (nebenbei angemerkt: dies treibt den Mietspiegel der Stadt Darmstadt nach oben). Mit ihnen und den erhöhten Mieten steigt der Immobilienwert für den Bauverein AG. So macht sie mit der Modernisierung gleich ein doppeltes Geschäft.

Nicht die Wohnungen werden modernisiert, sondern die Bilanzen der Bauverein AG.

Was bleibt von dem sozialen Auftrag des ehemaligen „Bauvereins für Arbeiterwohnungen“ übrig? „Wir bieten Ihnen Unterstützung an beim Gang zum Sozialamt“ - Originalton auf einer Informationsveranstaltung der Bauverein AG.

Die Bauverein AG kopiert das Geschäftsmodell der Investmentgesellschaften und der Immobilienhaie. So bekamen 2016 die Vorstände der Bauverein AG, Armin Niedenthal und Sybille Wegerich, ein standesgemäßes Jahresgehalt von jeweils 245 .000 €. Auch einige Stadtverordnete erhalten für ihre Tätigkeit im Aufsichtsrat gute zusätzliche Vergütungen; z. B. erhält Hildegard Förster-Heldmann (Fraktionsvorsitzende der Grünen im Darmstädter Stadtparlament) ein jährliches Zubrot von 7.400 €. Das dies alles unter Aufsicht – ja Mitwirkung - der rot-schwarzen Stadtregierung geschieht, ist ein ungeheurer Skandal.

Dazu passt, dass sich die Anzahl der Sozialwohnungen in Darmstadt von 1987 15.000 Sozialwohnungen bis 2010 um knapp 5.400 Sozialwohnungen verringert hat. Diese Entwicklung hält an: von 2015-2017 fielen 818 Wohnungen aus der Sozialbindung heraus und lediglich 309 Sozialwohnungen kamen hinzu.

Sozialer Wohnungsbau!

Die Konsequenzen und die Forderungen liegen auf der Hand: der soziale Wohnungsbau und der faire Umgang mit den MieterInnen sind Aufgabe der Stadt Darmstadt. Die Stadtwirtschaft muss wieder den BürgerInnen dienen. Die Bauverein Aktiengesellschaft muss zu ihren alten Wurzeln zurückfinden, zu dem „Bauverein für Arbeiterwohnungen.“

 

Weitere Infos zu der Modernisierung der Wohnungen im Spessart-/Rhöhnring: www.die-mietmeister.de

Erhard Schleitzer
27.08.2018