„Unser Anlagetipp: Wohnpark Kranichstein - Rendite 4,5%“

Die alten Menschen und die Beschäftigten zahlen dafür (aktualisierte Fassung vom 27.11.19)

Wer‘s nicht glaubt, der schaue in die Einladung „Investorentag – Forum für Kapitalanleger“ am 27.11.2019 in Speyer. Und es geht tatsächlich um den Wohnpark Kranichstein. Dieser wird beworben mit „Wohnpark Kranichstein in Darmstadt. Das Aushängeschild für Seniorenwohnen und -pflege in Darmstadt und Umgebung. Bestehende Immobilie top gepflegt. Bestens geführt. Voll belegt. Miete sofort! Rendite 4,5%!“ (Vollständiger Text s. angehängte pdf-Datei)

Thema im Sozialausschuss

Mit ihrem Streik erreichten die Beschäftigten, dass das Thema Tarifvertrag im Wohnpark Kranichstein auf die Tagesordnung des Sozialausschusses am 13.11.2019 genommen wurde. Zuvor hatte die Fraktion der Linken einen entsprechenden Antrag in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht. Saskia Jentsch, Gewerkschaftssekretärin von ver.di, berichtete von den Tarifverhandlungen, dem vorläufigen Ergebnis und dem abrupten Widerruf des bereits erzielten Verhandlungsergebnisses. Seit fast 20 Jahren gibt es keine Lohnerhöhung für die meisten Beschäftigten. Ein in Grundzügen ausgehandelter Tarifvertrag, wurde kurzfristig von der Geschäftsleitung für Makulatur erklärt. Darauf antworteten die Beschäftigten mit Streik (siehsmaso berichtete am 22.10.2019 darüber). Die Geschäftsführung des Wohnparks Kranichstein kündigte an, nach einer hausinternen Vergütung zahlen zu wollen. Mit dieser hausinternen Regelung werden laut Jentsch insbesondere die unteren Lohngruppen wie die Altenpflegehilfe und die Hauswirtschaftskräfte „abgewatscht“. Über 16 Jahre gerechnet verdienen sie bei einer Vollzeitbeschäftigung nach der hausinternen Regelung bis zu 36.000 € weniger.

Chronischer Personalmangel

Wegen der geringen Bezahlung sei die Fluktuation im Wohnpark besonders hoch, folglich gebe es laut Jentsch einen chronischen Personalmangel. Als die ver.di-Streikleitung der Geschäftsführung eine Notdienstvereinbarung für den Streik vorlegte, wurde von den Beschäftigten festgestellt, dass die derzeitige Ist-Besetzung unter der vorgeschlagenen Notbesetzung lag. So gebe es im Wohnpark nur noch 7 examinierte Kräfte, und selbst davon sind nicht alle Vollkräfte. Folglich müssten regelmäßig Leiharbeitnehmer*innen eingestellt werden, die von der Gehaltssumme das etwa 1,6fache einer fest angestellten Pflegekraft kosten.

Am Rand der Veranstaltung berichteten Beschäftigte des Wohnparks, dass für Stationen mit 26 zu Betreuenden planmäßig nur 1 Examinierte und 1 Hilfskraft zur Verfügung stehe. Doch bei Personalausfall, ca. ein- bis zweimal die Woche, müsse eine examinierte Kraft 2 Stationen betreuen. Da auch immer weniger Pflegebetten belegt werden, äußern die Beschäftigten die Vermutung, dass eine Pflegestation geschlossen wird und stattdessen Residenz-Wohnungen eingerichtet werden.

Der Arbeitgeber: alles gut

Die Arbeitgeberseite des Wohnparks vertrat Rechtsanwalt Mathias Metzger. Sein Vortrag erschien den anwesenden Beschäftigten des Wohnparks wie ein Kapitel aus Grimm‘s Märchen: Die Personalsituation sei gut, es gebe kaum Kündigungen und der Arbeitgeber habe ein Interesse an eine marktgerechten Bezahlung. Metzger war selbst bis 2010 einer der Geschäftsführer der Gesellschaft Incura, die als Pächterin des Wohnparks Kranichstein aufgetreten ist. Früher war Metzger SPD-Mitglied, ist dann aber ausgetreten und ist verheiratet mit Dagmar Metzger, der ehemaligen Darmstädter Landtagsabgeordneten der SPD.

In der folgenden Diskussion wurde von den anwesenden Parteienvertrer*innen im Sozialausschuss immer wieder sehr viel Sympathie für das Anliegen des Pflegepersonals und der anderen Beschäftigten gezeigt. Aber, insbesondere die Vertreter*innen der grün-schwarzen Koalition betonten dies, die Stadt können nicht in die Tarifverhandlungen eingreifen und ver.di und die Geschäftsführung müssten es selber regeln. Der Vertreter der LINKEN erinnerte daran, dass die ehemals zum Stadtkonzern gehörende Altenpflegeeinrichtung an Private verkauft worden sei und die Stadt in diesem Fall eine besondere soziale Verantwortung habe.

Rendite von 4,5% und noch einiges mehr

Die oben zitierte 4,5 % Rendite sind nur der obere Teil des Eisbergs. Die 4,5 % bekommen die Investoren, die ihr Geld weiter reichen an den Römerhaus-Bauträger GmbH. Diese Gesellschaft sammelt das Geld ein und erstellt die Pflegeimmobilie. Im Bundesanzeiger sind für die Römerhaus-Bauträger GmbH für 2016 5,65 Mio € und für 2017 6,23 Mio € ausgewiesen. Die Römerhaus-Bauträger GmbH übergibt die fertige Immobilie an die Römergarten-GmbH und nimmt dafür eine Pacht ein. Die Römergarten GmbH ist eine reine Betreibergesellschaft und erzielt ihre Gewinne durch das „Betreiben“ der Altenpflegeimmobilien. Im Jahr 2017 beschäftigte Römergarten 706 Mitarbeiter*innen bei einem Umsatz von 34,5 Mill. € und erzielte einen Gewinn von 1,09 Mill. €.

Das Gebäude des Wohnparks Kranichstein wurde 1995 von der HEAG (heute Entega) erbaut. Seit 2003 wurde das Gebäude an die Betreibergesellschaft Incura für 15 Jahre verpachtet. Die Pacht betrug 2,8 Mill. € im Jahr, macht für 15 Jahre stolze 42 Mill. €. Gutes Geld für eine Tochtergesellschaft der Stadt Darmstadt.

Wer bezahlt die Pacht?

Das Geschäftsmodell der Trennung von Immobiliengesellschaft und Betreibergesellschaft beschreibt Transpa­rency Deutschland in seinem Bericht „Transparenzmängel, Betrug und Korruption im Be­reich der Pflege und Betreuung":

„Beliebt ist die Trennung von Immobiliengesellschaft und Betreibergesellschaft, entweder beide in der Hand des gleichen Eigners oder völlig getrennt. In dieser Konstruktion vermie­tet der Eigner die Immobilie an die Betreibergesellschaft. Die Betreibergesellschaft wieder deckt (mindestens) die Investitionskosten der Immobiliengesellschaft durch den Beitrag, den die Heiminsassen als „Hotelkosten“ zahlen. Dieser Teil der Kosten ist durch die Ein­zelverträge für niemanden nachprüfbar. Sofern Immobilie und Betreibergesellschaft in ei­ner Hand sind, ergibt sich die völlig legale Möglichkeit, zweimal Gewinn abzuschöpfen. Ein solches Modell ist noch steigerungsfähig, wenn nämlich große Konzerne von Pflegeein­richtungen konzerneigene Tochtergesellschaften mit Dienstleistungen wie Putzdienst, Wä­scheversorgung, Küche beschäftigen, um Kosten zu verschleiern. Insbesondere die hoch­preisigen Seniorenresidenzen machen von diesen Modellen Gebrauch“. (S. 27)

Also: Die Hotelkosten werden an die Betreibergesellschaft von den Heimbewohner*innen abgeführt, die Betreibergesellschaft gibt diese weiter als Pacht an die Immobiliengesellschaft, diese wiederum muss ihre Geldeinleger*innen, hier mit 4,5 % bedienen.

Die Eigentumsverhältnisse – ein einzige Konglomerat

Die Eigentumsverhältnisse der „Betreibergesellschaft“ und der Investoren des Wohnparks Kranichstein sind verschlungen. Die Römergarten-Residenzen übernahmen am 1.7.2018 als Betreibergesellschaft den Wohnpark von Incura. Die Geschäftsführer der Römergarten Residenzen sind Alois Sieburg und Stefan Schambach. Sieburg war selbst Geschäftsführer von Incura bis 2011.  Auch der Geschäftsführer von Römerbau Peter Kirscherff ist eng verbunden mit Römergarten: „Römerhaus und Römergarten sind Partner, nicht zuletzt, da Peter Kinscherff als einer von 3 Gesellschaftern auch bei Römergarten mitwirkt“ (Firmeninfo von Römerhaus von 2018). Im selben Firmen-Blatt beschreibt Sieburg die nicht ganz unbescheidenen Ziele von Römergarten: “Unser Ziel ist, mittelfristig der führende Anbieter für Senioren-Residenzen in Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zu sein - und langfristig auch darüberhinaus.

Ebenfalls im Juli 2018 übernahm die Wopa Darmstadt GmbH als neuer Eigentümer den Wohnpark Kranichstein von der Entega. Die Wopa Darmstadt ist eine Schwestergesellschaft der neuen Betriebsgesellschaft Senioren-Residenz Wohnpark Kranichstein. Geschäftsführer der Wopa Darmstadt GmbH sind: Alois Sieburg und Peter Kinscherff. Der Geschäftsgegenstand von Wopa wird wie folgt beschrieben: „Der Erwerb und Verkauf von Beteiligungen an anderen Gesellschaften, die Verwaltung von anderen Gesellschaften, der Erwerb und Verkauf von Grundstücken sowie vergleichbare und alle damit zusammenhängenden Tätigkeiten.“

Zu den nicht ganz unbescheidenen Zielen passt, dass Sieburg seit dem 30.11.2017 auch als Geschäftsführer die Lieblang Holding GmbH auftritt. Die Lieblang-Gruppe beschäftigte 2019 insgesamt 5.082 Beschäftigte, darunter 4.950 „Arbeiter“. Dies sind wohl in der Mehrzahl Arbeiterinnen in den bekannten Niedriglohnbereichen wie Gebäudereinigung, Küche, Hotelservice und ähnlichen Bereiche. Ist hier die Vermutung abwegig, dass es in den von Sieburg als Geschäftsführer geführten Altersresidenzen noch erhebliches "Einsparungspotenzial" durch Privatisierung der bisher noch in eigener Regie betriebenen Reinigungsdienste, Küchen und Facility-Dienste gibt?

Soziale Verantwortung der Stadt Darmstadt?

Seit dem Jahr 2018 zeigten sich die Beschäftigten und die Gewerkschaft ver.di besorgt über den anstehenden Betreiberwechsel. Ver.di wandte sich in einem Brief an Oberbürgermeister Partsch und erhielt am 11.1. 2018 die Antwort, „dass es sowohl der ENTEGA als auch der Wissen­schaftsstadt Darmstadt ein großes Anliegen ist, dass Mitbestimmung und Tarifbindung beachtet werden. Es wird bei etwaigen Ver­handlungen mit potenziellen Anbietern ein großes Augenmerk hierauf gerichtet.“

Waren die Vertreter der Wissenschaftsstadt Darmstadt blind gegenüber dem beinahe wilden Treiben der Investorengruppen?  Als Betreiber für den Wohnpark Kranichstein hatten sich 2017 ebenfalls die AWO und das Rote Kreuz beworben. Beide wenden Tarifverträge an. Anscheinend wurden sie durch undurchsichtige und der Öffentlichkeit unbekannte Verträge ausgebootet.

Eine Äußerung des Rechtsanwaltes Mathias Metzger während der Sozialausschusssitzung sorgte für ungläubiges Erstaunen. Danach habe Alois Siegburg bereits 2007 sein Ankaufsrecht für den Wohnpark ausgeübt. Nur im Jahr 2007 hieß die Betreibergesellschaft Incura, Sieburg war zwar Geschäftsführer aber kein Eigentümer von Incura. Doch träfe diese Schilderung zu, wäre das 2017 erfolgte Ausschreibungsverfahren und die Bewerbungen von AWO und DRK eine reine Farce gewesen.

In einem Antwortschreiben des Oberbürgermeisters vom 20.11.2019 auf eine Anfrage der Linken wird ausgeführt, "mit notarieller Urkunde aus dem Jahr 2004 wurden Ankaufsrechte, befristet bis zum 31.12.2017, an der HSE Wohnpark bestellt. Unterlagen zu den genauen Hintergründen liegen hierzu leider nicht mehr vor. Mit notarieller Urkunde vom 27.11.2017 hat die WOPA Darmstadt GmbH die Ausübung des eingeräumten Ankaufsrechts wirksam erklärt."

Gegründet wurde der Wohnpark 1995 als eine der Tochtergesellschaften der Stadt Darmstadt. Aus einem Projekt der Daseinsvorsorge ist nun ein Spielball für hungrige Investoren geworden. Eine mit Nachdruck vorgetragene Forderung der Stadt Darmstadt, dass im Wohnpark Kranichstein Tarifverträge an zu wenden sind, wäre das mindeste.

 

Weitere Artikel zum Wohnpark Kranichstein

Streik im Wohnpark Kranichstein - Beschäftigte fordern Tarifvertrag: https://www.politnetz-darmstadt.de/node/27429

Wohnpark Kranichstein - Ein Goldesel für die ENTEGA: https://www.politnetz-darmstadt.de/node/24563

Streit um den Wohnpark Kranichstein - Das Geschäft mit den alten Menschen: https://www.politnetz-darmstadt.de/node/20324

Erhard Schleitzer
27.11.2019