Klimaproteste bringen grüne Lokalpolitik in die Bredouille

Auch am 29.11. wieder Tausende auf der Straße

Am 29.11. beteiligte sich wieder eine große Zahl von Menschen am „Global Climate Strike“. Es waren nicht so viele wie beim ersten Aktionstag am 20. September, waren aber sicherlich wesentlich mehr als die vom Darmstädter Echo gemeldeten Zweitausend. Die Klimaproteste haben in Darmstadt einen großen Rückhalt gefunden und werden in der nächsten Zeit weitergehen.

Im September gab es noch drei Demonstrationszüge mit unterschiedlichen Schwerpunkten aber alle mit Bezug zum Klimawandel. Am Ende vereinigten sich alle zu einer großen Abschlusskundgebung mit etwa 10.000 Menschen.

Jetzt gab es nur eine Demonstration, die allerdings aus drei Blöcken bestand, welche wieder die drei Schwerpunkte zum Ausdruck brachten:

  •  Der vordere Block war geprägt von den „Fridays for Future“ (FFF), die seit über einem Jahr mit ihren Demonstrationen die Klimabewegung ins Rollen brachten.
  •  Der zweite Block hatte den „sozialen und ökologischen Umbau“ zum Thema und war sehr stark durch kapitalismuskritische Akzente bestimmt. Hier nahm auch eine Gruppe von etwa fünfzig streikenden Busfahrer*innen teil. Sie wurden vom Bündnis zur Demonstration eingeladen, da ein ökologischer Umbau auch einen Umbau des ÖPNV erfordert, und die dort Beschäftigten dann auch gute Arbeitsbedingungen brauchen. Sie erhielten für ihre Teilnahme immer wieder viel Beifall.
  • Schließlich gab es noch den Block „Globale Gerechtigkeit“. Ein Teil davon traf sich schon vorab am Abschiebegefängnis in Eberstadt zu einer kleinen Auftaktkundgebung und ging dann zusammen zur Demonstration. Hier wurden die globalen Auswirkungen der Klimaerwärmung thematisiert, auch der Klimawandel als Fluchtursache. Antirassismus und Feminismus hatte hier auch ihren Platz.

Distanz zu den GRÜNEN und ziviler Ungehorsam

Insgesamt lässt sich gegenüber der ersten Demonstration zum Global Climate Strike eine gewisse Radikalisierung feststellen. In der Bewegung insgesamt herrscht der Eindruck, dass sich trotz vieler und großer Demonstrationen nichts ändert, die Politik keine wirkliche Wende einleitet und sich stattdessen mit Schulterklopfen begnügt. „Fridays for Future“ (FFF)verfasste deshalb in der Woche vor der Demonstration angesichts der von der Stadt vorgelegten Klimabilanz einen „Brandbrief“ (s. siehsmaso vom 23.11.2019), indem auch der in Darmstadt regierenden grün-schwarzen Koalition Tatenlosigkeit vorgeworfen wird. Sie zeigten sich daher verwundert über die Teilnahme von Magistratsmitgliedern bei der Demonstration vom 20. September. De facto also eine Ausladung für den 29. November und ein Bruch mit der grünen Partei. FFF kündigte zudem an, „diesmal auch explizit gegen das Versagen in der kommunalen Klimaschutzpolitik“ auf die Straße zu gehen.

Eine Radikalisierung ist auch hinsichtlich der propagierten Aktionsformen bemerkbar. Vielen reicht es nicht mehr, an Demonstrationen teilzunehmen, wenn sie auf die Herrschenden doch keinen Eindruck machen. Sitzblockaden und andere Formen des zivilen Ungehorsams werden von den Teilnehmer*innen immer wieder angesprochen und in Redebeiträgen gefordert. Mehrmals wurde konkret wurde auf die Aktionen von „Ende Gelände“ hingewiesen, die vom 29. November bis zum 1. Dezember den Braunkohleabbau in der Lausitz und den Betrieb eines Braunkohlekraftwerks blockieren wollten.

GRÜNE möchten „breites Bündnis“ und ignorieren Kritik

In ihren öffentlichen Verlautbarungen gehen die Darmstädter Grünen mit keinem Wort auf die Kritik der Klimabewegung ein. Im Gegensatz zum September rufen sie zwar nicht mehr zur Demonstration auf, tun aber weiterhin so, als seien sie ein Teil der Bewegung. So verkündet der Darmstädter Kreisverband der Grünen am Tag der Demonstration: „Schon 40 Jahre streiten wir GRÜNE für Umwelt- und Klimaschutz. Wir freuen uns sehr über den Rückenwind, den wir jetzt von den vielen, vielen Umweltaktivistinnen und Umweltaktivisten in unserer Stadt erhalten.“ Bleibt die Kritik an der eigenen „grünen“ Stadtpolitik so erst einmal unerwähnt, kann die Partei gedanklich große Pläne schmieden: „Da bildet sich gerade ein ganz breites Bündnis. Diesen Schwung wollen wir nutzen und die Umwandlung hin zur klimaneutralen Stadt gemeinsam noch effektiver vorantreiben".

Helfen soll dabei eine „Neuausrichtung“ des Klimaschutzbeirats. Dieses Gremium gibt es seit 2012. Im Protokoll der ersten Sitzung vom 7.12.2012 heißt es: „Seit etwa 1990 sei der CO2-Ausstoß, (…) zwar rückläufig, jedoch seien die oben dargestellten Zielerreichungspfade bisher verfehlt worden.“ Jetzt, neun Jahre später sieht es nicht besser aus. Auch eine „Neuausrichtung“ des Klimaschutzbeirats wird nicht helfen, wenn es nicht zu einer Neuausrichtung der Klimapolitik kommt.

Städtewachstum wohin?

Für eine Neuausrichtung der kommunalen Klimapolitik gibt es viele Stellschrauben, die angegangen werden müssen: Radwege, Öffentlicher Personennahverkehr, Erhaltung von Grünflächen und anderes mehr. Die Reaktionen zum Radentscheid und der beschleunigte Ausbau von Radwegen zeigen, dass der grün-schwarze Magistrat bei Druck von unten durchaus zu Zugeständnissen bewegt werden kann. Das ist als Erfolg der Umweltbewegung zu werten und sollte auch als solcher herausgestellt werden.

Aber schon ein kostenloses Ticket für den kommunalen Personennahverkehr hält Stefan Opitz, bei den Grünen zuständig für Verkehr, nicht für sinnvoll. Selbst Zwischenschritte werden von ihm nicht erwogen. Eine konsequente Politik in Richtung Verkehrswende sieht anders aus.

Auch in anderen Fragen deuten sich Bruchlinien zwischen der grün-schwarzen Stadtregierung und der Klimabewegung an. So vor allem um die Frage, ob für eine wachsende „Boomstadt“ Darmstadt immer neue Grünflächen für Gewerbebetriebe geopfert werden sollen, die dann wieder mehr Menschen in die Stadt ziehen, wodurch das Verkehrschaos vergrößert und die Mieten steigen werden.

Teile und Herrsche?

Die Grünen scheinen nach der Taktik des „Teilen und Herrschen“ verfahren zu wollen. Initiativen, die bereit sind, in Einzelfragen mit der Stadt zu kooperieren sollen eingebunden werden. Scheinbar soll so ein „realpolitisches“ Bündnis gegen eine sich radikalisierende Klimabewegung in Stellung gebracht werden. Die viel beschworene „bürgerliche Mitte“ dürfte so im Rahmen grüner Vorgaben an deren Umsetzung mitwirken.  So werden aber auch in Darmstadt nur „Klimapaketchen“ geschnürt werden. Beim nächsten Klimabericht würde es dann wieder heißen, dass der CO2-Ausstoß zwar etwas rückläufig sei, die Ziele aber verfehlt wurden.

Reinhard Raika
03.12.2019