Beschäftigte bei Kaufhof und Karstadt bangen um ihre Arbeitsplätze

Brandbrief der Betriebsräte an den Oberbürgermeister

Noch vor einigen Tagen waren sie die Helden des Alltags. Den Verkäufer*innen in den Geschäften wurde ein „systemrelevante Tätigkeit“ bestätigt und fast durchgängig eine zu geringe Bezahlung bescheinigt. War auf dem Höhepunkt der Corona-Krise die Wertschätzung für die „systemrelevanten“ Berufe ein beinahe breiter gesellschaftlicher Konsens, so scheint diese Wertschätzung zumindest für einen Teil der Beschäftigten im Handel nichts mehr wert zu sein.

Beschäftigte der beiden Kaufhäuser Galeria und Karstadt müssen nun um ihren Arbeitsplatz bangen. Obwohl die Beschäftigten bei Karstadt seit 2019 auf Teile ihres Gehalts verzichtet haben, ist ihre weitere Zukunft ungewiss.

Kaufhof und Karstadt in der Krise

Kaufhof und Karstadt befinden sich seit etlichen Jahren immer wieder in ökonomischen Schwierigkeiten. Häufiger Besitzerwechsel, Umstrukturierungen, Arbeitsplatzabbau, staatliche Bürgschaften und Kredite waren ein Zeichen davon. Vor allem bei Karstadt gehörten auch wiederholte Ausstiege aus dem Flächentarifverträgen zur Firmenpolitik. Seit 2009 ist eine Fusion von Karstadt und Kaufhof im Gespräch. Diese vollzog sich in mehreren Schritten und wurde im Februar 2019 abgeschlossen.

Durch den Corona-bedingte Shutdown hatte Galeria Karstadt Kaufhof wie andere Einzelhandelsgeschäfte auch Umsatzeinbußen und hatte Insolvenz angemeldet, die im Schutzschirmverfahren abgewickelt werden soll. Seit der Fusion mussten die Beschäftigten immer wieder auf teile ihres Tariflohns verzichten. Im Dezember 2019 wurde ein „Integrationstarifvertrag“ abgeschlossen, der ebenfalls Lohnverzicht beinhaltete, den Beschäftigten aber eine 5-jährige Garantie für die Standorte zusicherte. Dies soll jetzt im Rahmen des Schutzschirmverfahrens nicht mehr gelten. Die Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof will Medienberichten zufolge fast die Hälfte ihrer Filialen schließen. 80 der rund 170 Filialen könnten dichtgemacht werden, was einen großen Teil der 28.000 Mitarbeiter treffen dürfte. Der Spiegel berichtete, dass darüber hinaus in den restlichen Filialen bis zu zehn Prozent der Stellen gestrichen werden sollen.

Luisencenter, Karstadt und Kommunalpolitik

Der Luisencenter-Karstadt-Komplex hat in Darmstadt eine große Geschichte. Geplant war in einem damals unbebauten Gelände mitten im Herzen der Innenstadt ein Rathaus für die Stadt Darmstadt zu errichten. Nach einigem Planungswirrwarr beschloss die Stadtverordnetenversammlung im Januar 1975 ein „Multifunktionales Gebäude“ zu bauen. Der Plan der damaligen Stadtregierung unter OB Sabais war, Darmstadt zu einer attraktiven Einkaufsstadt für die Region zu machen. Neben dem bestehendem Kaufhof passte der Neubau des Karstadt-Gebäudes gut in dieses Konzept. Auch die Tiefgaragen und die passenden Zubringerstraßen sollten dazu gebaut werden. Das Riesenprojekt in Darmstadts Innenstadt stieß auf scharfe Kritik, konnte aber nicht verhindert werden. Ein großer Erfolg war aber die Verhinderung des Baus der Osttangente, einer Stadtautobahn, geplant mitten durch das Martinsviertel als autogerechter Zubringer zum Luisencenter.

Aus dem „multifunktionalen“ Gebäude wurde dann aber nichts. Wie vorher geplant, wurden Teile des Rathauses nicht in dieses Gebäude verlegt und auch die Stadtverordnetenversammlung, die zeitweise im 1. Stock des Luisencenters tagte, zog auch wieder aus. Das Luisencenter wurde vollständig dem Kommerz übergeben. Darmstadt ließ sich als Einkaufsstadt für die Region preisen, förderte damit den Individualverkehr und vernachlässigte den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs. Einer der krassesten baupolitischen Fehlentscheidungen in Darmstadt seit dem 2. Weltkrieg.

Für diese politischen Entscheidungen, auch gefördert durch massives Drängen des Karstadt-Konzerns und lokaler Bauinvestoren, können die Karstadt-Beschäftigten nichts. Es besteht nun die begründete Gefahr, dass sie zusammen mit den Beschäftigten von Galeria-Kaufhof die Fehlentscheidungen ihres Managements ausbaden müssen.

In einem „Brandbrief“ bitten die Betriebsräte von Karstadt und Kaufhof den Oberbürgermeister Partsch und alle seine Gremien um Solidarität. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Die Forderung, dass die Tarifgehälter die untere Haltelinie für die Branche sein sollen und die Tarifverträge allgemeinverbindlich werden müssen, verdient die volle Unterstützung – nicht nur in Zeiten von Corona.

 

 

Erhard Schleitzer, Reinhard Raika
03.06.2020