Masterplan DA 2030+

Wachstum, Wachstum! Wachstum?

Die Stadt Darmstadt hat den „Masterplan DA 2030+, Räumliche Entwicklungsstrategie für Darmstadt“ veröffentlicht. Dieser Masterplan „definiert als gesamtstädtisches, integriertes, räumliches Konzept die Qualitäten der Stadt, zeigt Handlungsfelder und Strategien für die zukünftige Entwicklung auf“. Rechtsverbindlich ist dieser Masterplan zwar nicht, er „ ist für die Verwaltung jedoch handlungsweisend für nachfolgende Planungsschritte.“ Der Masterplan zeigt auf, wohin die Stadtentwicklung Darmstadts gehen soll und wie Darmstadt als „Boomstadt“ weiterentwickelt werden soll.

Ständiges Wachstum ist nicht mit ökologischen Kriterien vereinbar

Nicht in Frage gestellt wird im Masterplan, dass Darmstadt weiter wächst und auch wachsen soll. „Ausgegangen wird bei den Planungen von dem Szenario mit einem jährlichen Wanderungsgewinn von 1.100 Personen und einer Bevölkerungsvorausberechnung von 184.000 Einwohnerinnen und Einwohnern für das Jahr 2035.“ Darmstadt sei ein attraktiver Standort für innovationsstarke Unternehmen und wichtige Wachstumsbranchen. „Auch zukünftig wird die Ansiedlung und Neugründung von Unternehmen gefördert“. Deshalb ist „sicherzustellen, dass nach wie vor Standorte und Flächen für produzierendes Gewerbe und Industrie in der Stadt mit Planungssicherheit vorgehalten und angeboten werden sowie bestehende Standorte Planungssicherheit bewahren.“

Die grün-schwarze Stadtregierung setzt damit voll auf Wachstum und die Neuansiedlung von Unternehmen. Eine solch schnelles Wachstum der Stadt ist aber unvereinbar mit einer lebenswerten und umweltverträglichen Entwicklung. Wenn zusätzliche Gewerbeflächen ausgewiesen werden, zieht das zwangsläufig den Zuzug von weiteren Menschen und wachsenden Verkehr nach sich. Grün-Schwarz setzt auf eine Art Stolz auf Darmstadt, dass die Bürger in einer Boomstadt leben, die attraktiv ist und Gewerbe und Menschen von überall her anzieht. Das ist aber ökologisch gesehen, genau der falsche Entwicklungsweg.

Der Masterplan versteckt die umweltpolitisch fatalen Folgen

Liest man/frau die über 120 Seiten des Masterplans der Stadt Darmstadt so fühlt man sich in eine andere Stadt gebeamt. Hier eine Auswahl der beeindruckendsten Überschriften:

  • ENTSTANDEN IST DER PLAN IN EINEM DIALOGORIENTIERTEN, KOOPERATIVEN PLANUNGSVERFAHREN UNTER BETEILIGUNG DER BEVÖLKERUNG
  • DARMSTADT VERFÜGT ÜBER VIELFÄLTIGE QUALITÄTEN, DIE DIE STADT BEREITS HEUTE ATTRAKTIV UND LEBENSWERT MACHEN
  • EINE GRÜNE STADT MIT ATTRAKTIVEN, INNERSTÄDTISCHEN UND STADTNAHEN ERHOLUNGSMÖGLICHKEITEN
  • EINE STADT, DIE URBANE UND DÖRFLICHE QUALITÄTEN MITEINANDER VEREINT
  • EINE STADT MIT HOHER ARCHITEKTONISCHER UND STÄDTEBAULICHER QUALITÄT AUS VIELEN EPOCHEN
  • EINE STADT MIT ERFAHRUNG UND MUT FÜR TRANSFORMATIONEN
  • KLIMASCHUTZ UND NACHHALTIGER UMGANG MIT RESSOURCEN
  • VERKEHRSWENDE UND MOBILITÄTSKULTUR
  • und : DARMSTADT WÄCHST KLUG

Über die konkreten Planung zur Bebauung schweigt sich der Bericht aus, es gibt nur einen groben Plan auf Seite 45 mit den „neuen Potentialflächen der Stadtentwicklung“ unterschieden nach prioritär und perspektivisch. Und hier stecken sprichwörtlich die umweltpolitischen „Schweinereien“.

  • Im Südosten Eberstadts wird der Wald quasi wegretuschiert und eine riesiges Stück Waldgebiet als „perspektivische Potentialfläche“ ausgewiesen.
  • Weitere Waldflächen sollen der wachsenden Stadt Darmstadt im Westen Eberstadts, am Böllenfalltor und im Westwald geopfert werden.
  • Die Streuobstwiesen in Eberstadt haben ebenfalls diese „Perspektive“.
  • Im Westen von Arheilgen und im Südosten von Wixhausen sind große prioritäre Potentialflächen ausgewiesen.
  • Viele Kleingartenanlagen wie in Arheilgen, Kranichstein und der Lincolnsiedlung werden perspektivisch zur Bebauung ausgewiesen.

Soweit nur die gröbsten Auswüchse des Masterplans. Die Überschrift zu dem entsprechenden Abschnitt im Masterplan ist überschrieben mit „Wie sieht Darmstadt aus, wenn es Ressourcen und Flächen verantwortungsvoll nutzt?“. Die Antwort ist leider klar, Darmstadt wird hässlicher und mehr zugebaut. Wälder, Grünflächen, Gartenanlagen und Naherholungsbereiche verschwinden, dafür darf sich Darmstadt aber eine attraktive Boomstadt nennen.

Boomstädte fördern abgehängte Regionen

Ständig wirtschaftliche wachsende Städte und ihre ansteigende Bevölkerung haben auf der anderen Seite ihre Entsprechung. In Teilen der nahegelegenen Pfalz gibt es Städte mit einer hohen Arbeitslosigkeit, wegbrechenden Steuereinnahmen, einer abwanderten Jugend und einer überalterten Bevölkerung. In Pirmasens z. B. beträgt der Wohnungsleerstand 8-9%.

Und natürlich bringt eine stark wachsende Stadt Nachteile für einen Großteil der ansässigen Bevölkerung mit sich. Die Stadt dehnt sich in der Breite aus, nach innen wird sie verdichtet, Grün- und Erholungsflächen verschwinden, die Verkehrssituation wird immer angespannter und insgesamt sinkt die Lebensqualität. Vor allem fördern die so genannten Boomstädte die soziale Spaltung. Die Mieten steigen ständig weiter, Gering- und Mittelverdiener werden aus den Städten verdrängt und müssen den Modernisierungsgewinnern Platz machen. Nach dem aktuellen Bericht des Gutachterausschusses für Immobilienwerte stiegen die Preise für Eigentumswohnungen und für Einfamilienhäuser in Darmstadt von 2019 auf 2018 allein in dem einen Jahr um 10 %.

Nachhaltige Regionalplanung versus Wachstum um jeden Preis

Die aktuelle Entwicklung schreit förmlich nach einer effektiven und verbindlichen Regionalplanung. Die Regionen dürfen nicht immer weiter auseinanderdriften, so sind z. B. Gewerbesteuern nach regionalpolitischen Zielen zu staffeln, Arbeitsplätze unter Nutzung der Digitalisierung stärker zu dezentralisieren, genauso wie Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen. Politische Möglichkeiten zur Steuerung gibt es genügend, es muss nur gewollt sein.

Im Artikel „Boomstadt Darmstadt?“ vom 26.3.2020 in siehsmaso haben wir bereits darüber geschrieben, wie Boomstädte und abgehängte Regionen sich auseinander entwickeln und Forderungen vorgestellt, die von kritischen Publizisten zur Regionalentwicklung vorgetragen werden. Wichtig für die weitere Diskussion in Darmstadt ist, dass zur Begründung der Forderung nach einer nachhaltigen und gerechten Regionalpolitik die konkreten Auswirkungen bedacht werden, die der Entwicklungspfad hin zu einer Boomstadt nach sich zieht. Darüber muss in aller Öffentlichkeit eine breite Diskussion geführt werden: wollen wir mehr Wachstum um jeden Preis? Entschieden muss vor allen Dingen die Frage, ob mehr Gewerbegebiete ausgewiesen werden sollen. Mehr Gewerbe zieht zwangsläufig mehr Menschen an, die zusätzlich wieder Wohnungen brauchen und/oder was mehr Verkehr bedeutet.

 

 

Download MASTERPLAN DA 2030+: https://www.darmstadt.de/standort/stadtentwicklung-und-stadtplanung/mast...

 

Erhard Schleitzer
18.06.2020
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