Krise der Automobilindustrie in Südhessen

Unternehmen planen Abbau weiterer Arbeitsplätze - Belegschaften wehren sich

Die Krise der Automobilindustrie hinterlässt in Südhessen deutliche Spuren. Continental und Segula, das erst Anfang 2019 Teile des Opel-Entwicklungszentrums übernommen hatte, sind die Brennpunkte dieser Entwicklung.

Continental: Mehr Entlassungen und Werksschließungen

Bereits vor über einem Jahr wurde 2200 Beschäftigten von insgesamt 3600 im Babenhausener Tachowerk mitgeteilt, dass man sie nicht mehr brauche (Siehe siehsmaso vom 28.9.2019: Konjunktursorgen in Südhessen) Anfang September jedoch teilte die Führung von Conti überraschend mit, dass der Sparkurs drastisch verschärft und der Abbau von Arbeitsplätzen beschleunigt werde. Weltweit sollen statt 20.000 Arbeitsplätze nun 30.000 abgebaut werden. Das im September 2019 vorgestellte Sparprogramm sah für Deutschland den Abbau von 7.000 Arbeitsplätzen vor; nun sollen es 13.000 werden. In Babenhausen sollen zu den bekannten 2.200 Arbeitsplätzen 150 weitere abgebaut werden, In Frankfurt sollen knapp 500 Arbeitsplätze gestrichen werden, in Schwalbach fast 200 und in Karben soll bis 2023 ein ganzes Werk mit 1100 Beschäftigten schließen.

„Continental will im Schatten der Krise seine Wettbewerbsfähigkeit auf Kosten der Beschäftigten ausbauen. Die simple Logik lautet: Standorte auspressen, Personalkosten drücken und Arbeitsumfänge verlagern. Das ist keine Strategie, das ist eine Kampfansage an die Beschäftigten,“ so Jörg Köhlinger, Leiter des IG Metall Bezirks Mitte. In der Zeit vom 7. bis 11. September gab es daher in den Continental-Standorten vielfältige Aktionen der Belegschaften gegen die Schließungspläne.

In Babenhausen hatten sich die Kolleg*innen zu einem Autokorso mit 300 Fahrzeugen zusammengefunden, ein paar Dutzend kamen überdies mit dem Fahrrad. In Karben hatten zur selben Zeit mehrere hundert Beschäftigte eine fast ein Kilometer lange Menschenkette gebildet, vom Werkstor bis zum Rathaus.

Der Karbener Betriebsratsvorsitzende Frank Grommeck verwies auf zwei neue Werke des Konzerns in Litauen und Ungarn. Dort werden für 200 Millionen Euro neue Betriebe erstellt. Das Geld hierfür konnte das Unternehmen auch durch Spartarifverträge aufbringen. Die Beschäftigten mussten unbezahlte Überstunden leisten, in der Hoffnung, so die Arbeitsplätze zu erhalten. Strategie der IG Metall scheint es zu sein, durch Mobilisierung der Belegschaften die Kosten für Sozialpläne und Abfindungen so weit in die Höhe zu treiben, dass es sich für den Konzern nicht mehr rentiert. In Karben soll das schon einmal gelungen sein. Die FAZ zitiert in ihrem Bericht zur Aktionswoche eine Kollegin die sagte, mit Autokorsos und Menschenketten allein werde man die Konzernführung nicht überzeugen.

Von Opel zu Segula und nun gefeuert?

Auch in Rüsselsheim droht weiterer Arbeitsplatzabbau. Begleitet von Protesten der Belegschaft und anhaltendem Widerstand des Betriebsrates wurde 2019 auf die Angestellten des Entwicklungszentrums der Opel AG in Rüsselsheim erheblicher Druck ausgeübt, um sie zu einem Wechsel zum Ingenieursdienstleister Segula zu bewegen. (Siehe siehsmaso vom 1.11.2018: Teilverkauf des Opel-Entwicklungszentrums) Siebenhundert Angestellte gaben schließlich nach oder wurden zwangsweise versetzt. Bezahlt werden sie nach einem schlechteren Tarifvertrag als er bei Opel gültig war, aber es gab das Versprechen eines sicheren Arbeitsplatzes bis 2023. Nun aber kündigt Segula schon jetzt an, 300 der momentan 1.100 Arbeitsplätze abzubauen. Es fehle an Aufträgen und die Auslastung werde niedrig bleiben. Wie der Abbau genau erfolgen soll ist noch nicht bekannt. Das Unternehmen verhandelt mit Betriebsrat und Gewerkschaft. Die IGM-Vertrauensleute fordern Kurzarbeit statt Entlassungen und beraten über Handlungsmöglichkeiten.

Krise betrieblich nicht lösbar

Die Krise der Automobilindustrie trifft nicht nur einzelne Firmen. Alle herstellenden und zuliefernden Unternehmen sind betroffen. Und das nicht erst seit Corona. Schon in 2019 gab es deutliche Krisenerscheinungen, nicht nur, aber besonders in der Fahrzeugindustrie. Überkapazitäten gibt es in diesem Sektor weltweit. Durch Streiks kann so nur im beschränkten Umfang ökonomischer Druck ausgeübt werden. Das erschwert den Widerstand der Gewerkschaften und einzelner Belegschaften im Kampf gegen die Vernichtung von Arbeitsplätzen. Das Kapital kann die einzelnen Betriebe gegeneinander ausspielen. Nötig sind daher Forderungen, die die gemeinsamen Interessen der Beschäftigten zum Ausdruck bringen.

Die jetzt wieder von der CSU ins Spiel gebrachten Kaufanreize für Verbrennerautos sind hierfür keine Perspektive. Hiermit würde ein Weg fortgesetzt, den viele Menschen, besonders Jüngere als Sackgasse begreifen. Das Auto verliert seine Rolle als Statussymbol und viele Jugendliche machen nicht mal mehr den Führerschein. Eine Reduktion der Autoindustrie scheint auch deshalb unausweichlich.

Interessanter sind daher Vorstellungen einer Konversion. Ein Ausbau des Öffentlichen (Nah-) Verkehrs böte auch Beschäftigten der Fahrzeugindustrie eine Perspektive. Hier wäre eine Zusammenarbeit mit Gewerkschafter*innen der Bahn, des ÖPNV und Teilen der Klimabewegung denkbar.

In letzter Zeit wurde immer mal wieder der Vorschlag einer Arbeitszeitverkürzung ins Spiel gebracht. Da Arbeitsplatzverluste nicht nur durch Überkapazitäten drohen, sondern auch durch die Digitalisierung der Produktion, wären kürzere Arbeitszeiten ein lohnendes Kampfziel. Allerdings könnte die Mehrheit der Lohnabhängigen dafür nicht gewonnen werde, wenn dies mit Lohnverlusten verbunden wäre oder die Gefahr besteht, dass in der verkürzten Arbeitszeit die gleiche Leistung wie vorher erbracht werden soll.

Reinhard Raika
16.09.2020
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