Corona trifft alle – aber nicht alle gleich

Erfahrungen des südhessischen Bündnisses gegen die Altersarmut von Frauen während der Corona-Krise

Die Aktiven des südhessischen Bündnisses gegen die Altersarmut von Frauen haben eine Auswertung ihrer Erfahrungen während der Corona-Krise vorgenommen. Dabei wurde schnell klar: geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und strukturelle Benachteiligung von Frauen – Hauptursachen der Altersarmut von Frauen - entwickelten unter den Bedingungen des Corona-Lockdowns eine besondere Dynamik.

Nach den offiziellen Zahlen des Arbeitsmarktreport der Agentur für Arbeit Darmstadt waren im Juli 2020 im Geschäftsstellenbezirk Darmstadt 11.053 Personen arbeitslos, davon 55,8 % Männer und 44,2 % Frauen. Gegenüber Juli 2019 waren insgesamt 2.482 Personen mehr arbeitslos. Das entspricht bei den Männern einer Erhöhung um 30%, bei den Frauen um 27,6%.

Hinsichtlich der von Kurzarbeit betroffenen Personen liegen derzeit bei der Arbeitsagentur Darmstadt noch keine auf das Geschlecht bezogenen Zahlen vor. Der bisherige Eindruck ist aber, dass es hier keine signifikanten Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt. Die Beschäftigung in Minijobs - in den überproportional Frauen vertreten sind - ist zurück gegangen. Konkrete regionale Zahlen liegen noch nicht vor. Das besondere Problem dabei: Minijobber*innen erhalten kein Kurzarbeitergeld!

Erfahrungen der Bündnisaktiven

Der VdK Kreisverband Darmstadt berichtete, die Beratung sei zunächst ganz eingestellt worden, aber dann zügig wieder „Face to Face“erfolgt. Nach der Beratungspause gab es einen riesigen Andrang, 80% der Ratsuchenden waren Frauen. Die Hauptanliegen waren Fragen der Pflegeversicherung und der Erwerbsminderungsrente, Probleme der Einkommenssicherung im Zusammenhang mit Kurzarbeit und dem Verlust von Minijobs.

Kurzarbeit und Wegfall der Minijobs hat viele Menschen in finanzielle Notlagen gebracht. Zwar sind nach eigenen Erhebungen Männer und Frauen durch Kurzarbeit zahlenmäßig gleichermaßen betroffen, allerdings dürften Frauen wegen des bestehenden Einkommensunterschieds finanziell stärker belastet sein. Nicht zu vergessen der Wegfall der Minijobs, die ja bei der Kurzarbeitsgeldregelung außen vor bleiben, berührt Frauen besonders; sind sie doch in dieser, nicht nur vom Bündnis kritisierten Beschäftigungsform überproportional vertreten.

Der Wegfall von Beratungsstrukturen und der erschwerte Zugang zu Einrichtungen der sozialen Daseinsfürsorge hat Menschen, die mit telefonischer und digitaler Beratung überfordert sind bzw. keinen Zugang zu den erforderlichen Medien haben, sich selbst überlassen. Der Migrationsdienst der Caritas in Darmstadt machte eindrücklich die Erfahrung , dass mit den von ihrer Einrichtung zu betreuenden Menschen die Online- und Telefonberatung gar nicht geht. Die Beratungsstelle wurde deshalb wieder sehr schnell geöffnet.

Ratsuchende mit Verständigungsproblemen, wie zum Beispiel Geflüchtete oder Menschen mit wenig Übung im Schriftlichen sind auf eine sogenannte Face to Face- Beratung angewiesen, sollen sie nicht auf der Strecke bleiben. Wie notwendig diese Strukturen sind zeigt sich in der Vielfältigkeit des Beratungsbedarfes von Antragshilfen bis zur Weiterbildungsberatung; ein Herunterfahren, wie geschehen, ist deshalb zukünftig zu verhindern.

Ver.di Südhessen hatte alle Veranstaltungen heruntergefahren. Die Geschäftsführerin Karin Harder . bestätigt die Erfahrungen, dass es Menschen gibt, die auf eine Face to Face- Beratung angewiesen sind. Bei den gewerkschaftlichen Beratungen ging es um Kolleg*innen im Arbeitsstress wie im Gesundheitswesen und Einzelhandel. Es ging um finanzielle Not, hervorgerufen durch Kurzarbeit und zusätzlichen Wegfall von Minijobs.

Von den Krankenhäusern wird berichtet, die Stimmung sei dort extrem schlecht, finanzielle Anerkennungen bleiben die Ausnahme. Die Vorbereitung auf einen 2. Schub sei schlecht, viele Kolleg*innen denken daran, aus ihrem Beruf ganz auszusteigen. Natürlich sei klar, dass Klatschen allein nicht ausreicht. Eine finanzielle Besserstellung und eine Personalaufstockung sind dringend geboten, wenn eine Kündigungswelle im Gesundheitswesen nicht ausgeschlossen werden soll.

Auch die Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung konnte von den Bündnisaktiven mit eigenen Erfahrungen belegt werden. Zusammengefasst unter dem Begriff des Digital Gaps hat sich gerade hier gezeigt, wie traditionelle Strukturen wieder lebendig werden können. Stichworte sind Home-Office und Home-Learning besonders unter den Bedingungen geschlossener Schulen und Kindertagesstätten. Welche Herausforderung dies vor allem für Mütter bedeutete, ist bekannt und kann nur bestätigt werden. Weniger bekannt sind vielleicht die heimlichen innerfamiliären Zugangsregeln zu den digitalen Medien, von denen die Weiterbildnerinnen berichten konnten. Erst die Kinder, dann der Vater und abends dann die Mutter, wodurch eigenes Lernen und Arbeiten erschwert wurde. Dies trifft sich mit den Ergebnissen der Befragung des Institutes für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) zur Veränderung des Arbeitsalltages durch Corona, wonach Personen, die die Kinder betreuten häufiger zu anderen Zeiten arbeiten und ihre Arbeit verglichen mit Personen ohne Betreuungsaufgaben als weniger effizient sehen.

Fazit

Die Corona-Krise bedeutete Kurzarbeit und Beschäftigungsverlust auf der einen Seite, Stress und Überbeanspruchung auf der anderen, vor allem in den frauentypischen Berufsfeldern des Gesundheitswesen und des Einzelhandels. Erfreulich ist die Erkenntnis der Systemrelevanz dieser Berufsfelder in weiten Teilen der Bevölkerung. Aber es darf nicht beim Beifallklatschen und dem Verkünden schöner Worte stehen bleiben. Es besteht die große Gefahr, dass die Beschäftigten in diesen Berufen durch die Verantwortlichen in der Politik eine tiefe Enttäuschung erfahren werden.

Die flächendeckende Ausstattung von Schüler*innen mit digitalen Leih-Geräten ist dringend geboten, gleiches gilt für die Teilnehmer*innen an beschäftigungsfördernden Maßnahmen für Frauen und Mädchen. Auch sollte die Anschaffung eines Computers zur Grundsicherung gehören.

Entsprechende Strategien zu entwickeln, wäre eine lohnenswerte Aufgabe für unsrer Digitalministerin - oder gibt es die in Hessen überhaupt noch?

Elke Möller / Erhard Schleitzer
06.10.2020