Kahlschlag bei Opel vorerst vom Tisch?

Krisengetriebene Transformation der Automobilindustrie

Im Stammsitz Rüsselsheim von Opel arbeiten noch rund 15.000 Menschen in den Bereichen Entwicklung, Produktion und Marketing. Die Unternehmenspolitik von Opel gilt als Menetekel (ein Vorzeichen drohenden Unheils) für eine krisengetriebene Transformation der Automobilindustrie. Peter Spahn beschreibt in seinem Artikel die Situation und die Politik von Opel. Wir veröffentlichen davon Auszüge:

Der Umsatz vom Gesamtkonzern PSA sank von Januar bis Ende Juni 2020 gemessen am Vorjahreszeitraum um 34,5% auf 25,1 Mrd. Euro. Das entspricht einem Absatzeinbruch im selben Zeitraum um 45,7%. Auch bei Opel sind im ersten Halbjahr die Neuzulassungen stark gesunken, es wurden nur noch gut 266.000 Autos der Marken Opel und Vauxhall verkauft. Der Absatzrückgang von 53,1% fiel deutlich stärker aus als bei den anderen Konzernmarken.

Der Opel-Konzern drohte jüngst mit betriebsbedingten Kündigungen, bis zu 4.100 Stellen seien gefährdet, obwohl der Zukunftstarifvertrag bis Mitte 2025 betriebliche Kündigungen ausschließt.1 Nach heftiger Kritik und Protesten von Gewerkschaft und Politik scheint dies erst einmal vom Tisch zu sein.

Zumindest hat sich die Geschäftsleitung des Fahrzeugherstellers mit dem Betriebsrat vorläufig auf Eckpunkte verständigt. Demnach will Opel die bereits seit Monaten andauernde Kurzarbeit infolge der Coronakrise »bis voraussichtlich Ende 2021« verlängern. Die Zustimmung der Arbeitsagentur hierzu steht allerdings noch aus. Klar aber ist, dass insbesondere die Produktion am Stammsitz im hessischen Rüsselsheim weiterhin mit Überkapazitäten zu kämpfen hat und viele Monteure wohl noch ein Jahr kurzarbeiten werden. Die hier produzierte Limousine Insignia verkauft sich schlecht.

Erst im Herbst 2021 soll die zusätzliche Fertigung des Kleinwagens Astra auch in vollelektrischer Version und eines Modells der Marke DS der französichen Konzernmutter PSA (Peugeot, Citroën) für Abhilfe sorgen (Handelsblatt v. 29.9.2020).

Auch bei Segula werden massiv Stellen abgebaut. Dem Ingenieursdienstleister in Rüsselsheim brechen die Aufträge ein. Größter Kunde von Segula ist immer noch Opel, der seine Aufträge an Segula mit Beginn der Corona-Pandemie stark zurückgefahren hatte. Rund 300 der insgesamt 1.100 Mitarbeiter hätten derzeit keine Arbeit. Jetzt sollen Beschäftigte den erst vor einem Jahr gestarteten Betrieb wieder verlassen. Damals schloss der Konzern die strategische Partnerschaft mit Opel ab. Segula übernahm Teile des Opel-Entwicklungszentrums in Rüsselsheim. 2.000 Ingenieur*innen sollten von Opel zu Segula wechseln. Der Widerstand beim Opel-Betriebsrat war groß. Am Ende waren es 700. Ob diese jetzt auch vom Stellenabbau betroffen sind, blieb offen.

Der Konzern wollte sich dazu nicht weiter äußern und verwies auf die Gespräche mit IG Metall und Betriebsräten, die anstünden. Segula hatte den Ex-Opelanern bei ihrem Wechsel vor einem Jahr einen Kündigungsschutz bis 2023 zugesichert (FNP v. 19.8.20).

Altersteilzeit und Transfergesellschaft

Opel-Chef Lohscheller kündigte in Rüsselsheim an, den Umbau des 2017 von PSA übernommenen Autobauers zu beschleunigen. Man werde auch schwierige Themen anpacken, wozu die bei Betriebsräten und Gewerkschaftern stark umstrittene Neuregelung der Opel-Betriebsrenten gehöre – und eben weiterer Arbeitsplatzabbau. Auch zu diesem Zweck will Opel entsprechend den Eckpunkten sein Programm zur Altersteilzeit auch für Beschäftigte bis Jahrgang 1964 öffnen. Für Bereiche, in denen der Konzern einen besonders drastischen Personalüberhang sieht, prüft Opel das Angebot von Transfergesellschaften.

Konkret soll der Wechsel in eine Transfergesellschaft Beschäftigten im Rüsselsheimer Prototypenbau, dem Teilelager, dem Werkzeugbau und den Werkstätten des Engineerings vorgeschlagen werden. Für diese Fachkräfte ist zudem ein spezielles Programm der Altersteilzeit für die Jahrgänge 1961 bis 1964 vorgesehen.

Dem Vernehmen nach will Opel einer signifikanten dreistelligen Zahl an Beschäftigten den Wechsel in eine Transfergesellschaft schmackhaft machen (Handelsblatt v. 28.9.20). In Opel-Konzernkreisen wird allerdings bezweifelt, dass sich wirklich Hunderte Beschäftigte bereit erklären, in eine Transfergesellschaft zu wechseln.

Folgerichtig droht Lohscheller bereits: »Aber wenn wir sehen sollten, dass wir keine ausreichenden Fortschritte machen, dann müssen wir noch einmal diskutieren und die Lage neu bewerten. Insofern können wir betriebsbedingte Kündigungen zum jetzigen Zeitpunkt nicht kategorisch ausschließen.« (HB v. 13.10.20) Der nächste Konflikt ist programmiert.

Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des Center of Automotive Research (CAR), kritisiert das »durchsichtige Vorgehen« des Rüsselsheimer Fahrzeugherstellers. »Einerseits Gewinn vermelden, und andererseits mehr als ein Jahr Kurzarbeit beantragen und die Mitarbeiter mit Transfergesellschaften unter Druck setzen, das passt nicht zusammen. Letztlich soll der Staat die Gewinne von Opel fördern.« (Ebd.) Und wenn die erwartete Marge nicht eintrifft, wird der Druck auf die Beschäftigten und Betriebsräte weiter erhöht und jederzeit mit Personalabbau und Verlagerung gedroht und jongliert.

Über die Elektrifizierung der Autoflotte hinausgehende Pläne für neue Konzepte wie z. B. einer »urbanen Mobilität«, an deren Entwicklung die Beschäftigten teilhaben könnten, gibt es bei Opel nicht. Auch Vorschläge der Beschäftigten und der IG Metall zur Beschäftigungssicherung wie Wochenarbeitszeitverkürzung oder eine Qualifizierungsoffensive für eine Zukunftsperspektive statt Stellenabbau und Frühverrentung werden weggewischt.

 

Veröffentlicht in: Sozialismus.de, Heft 11-2020

Peter Stahn ist aktiv in den Sozialistischen Studiengruppen (SOST) und Redakteur von vorortLinks.

1 Das Ergebnis des Zukunftstarifvertrags von 2018 sieht vor: a) Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis zum 31. Juli 2023; b) Zusage von Investitionen in Milliardenhöhe in allen Standorten zur Bestandserhaltung und zur Beschäftigungssicherung; c) Begrenzung des Personalabbaus auf 3.700 Stellen durch bereits vereinbarte Maßnahmen (Freiwilligenprogramm, Altersteilzeit, Vorruhestandsregelung).

 

Peter Stahn
12.11.2020
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