Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg

Waren Darmstädter Regimenter beteiligt?

Das Szenario kennen wir alle aus einschlägigen Kriminalfilmen im Fernsehen. In einem kleinen beschaulichen Ort wird ein Mensch ermordet und die Kommissarin oder der Kommissar aus der nächstgelegenen Stadt ermittelt. Bei den Befragungen wissen alle eines ganz sicher. „Von uns war es keiner!“

Darmstadt ist zwar nicht gerade eine Kleinstadt, aber das Verhalten in Bezug auf die Aufarbeitung von Verbrechen der deutschen Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs erschien doch lange Zeit etwas provinziell. Der Mythos von der „sauberen Wehrmacht“ wurde durch die in den 1990er Jahren gezeigte Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ nachhaltig widerlegt. Auch unser Oberbürgermeister Jochen Partsch wird diese Verbrechen nicht anzweifeln. Dass aber Darmstädter Einheiten des Militärs daran beteiligt waren, will er aber nicht so recht wahrhaben.

Konkret geht es um das sog. „Leibgardistenregiment“, dem mit dem Löwendenkmal vor dem Darmstädter Schloss ein zweifelhaftes Denkmal gesetzt wurde. Es erinnert an das 1621 von Landgraf Ludwig V aufgestellte Infanterieregiment, das 1906 in Leibgarde-Infanterie-Regiment umbenannt wurde. Es war bis 1918 an zahllosen Kriegen und Kampfeinsätzen beteiligt, so auch im Jahr 1900 bei der Niederschlagung des Boxeraufstands in China. 1848 war es in Frankfurt sowie in Baden und der Pfalz bei der Bekämpfung der revolutionären Bewegung eingesetzt. 1919 wurde die Einheit als Reichswehr-Schützenregiment in die Reichswehr integriert. Das Denkmal wurde im August 1928 eingeweiht und sollte an die Gefallenen des Regiments im Ersten Weltkrieg erinnern. Die Einweihung wurde in Anwesenheit des 1918 abgesetzten Groß-Herzogs vollzogen und war z.T. durch stark militaristische und nationalistische Töne gefärbt. Begleitet wurde die Einweihung durch Proteste der Arbeiterparteien.

1958 wurden in der Mauer rechts und links des Denkmals die Schlachtorte des Zweiten Weltkriegs eingetragen. Und um diese „Schlachten“ geht es in einer Auseinandersetzung der Stadt Darmstadt mit dem Darmstädter „Bündnis gegen Rechts“. Es geht um die Frage, ob die Nachfolgeeinheiten des Leibgardistenregiments im Zweiten Weltkrieg an Kriegsverbrechen beteiligt waren.

An Kriegsverbrechen beteiligt oder nur damit in Verbindung gebracht?

Das „Bündnis gegen Rechts“ beschäftigt sich seit Jahren mit dieser Frage, nachdem sie erfahren hatten, dass zu jedem Volkstrauertag Mitglieder der „Kameradschaft der Leibgardisten“ hier der Toten des Zweiten Weltkriegs gedachten. (Zum reaktionären und militaristischen Charakter der Kameradschaft siehe einen Text von Peter Friedl bei den Dokumenten) Sie behaupteten zwar, sie gedächten aller Toten, waren allerdings in historische Uniformen gekleidet und wurden durch Uniformierte der Bundeswehr unterstützt. Das alles verlieh der Zeremonie einen militaristischen Beigeschmack und das Bündnis beschloss, fortan gegen diese Art des Gedenkens zu protestieren.

Vor allem Hannes Heer erforschte mit den anderen Autoren, Renate Dreesen, Peter Behr, Peter Friedl, Fred Kautz, die Beteiligung der Regimenter an den Kriegsverbrechen der Wehrmacht. Hannes Heer leitete die oben erwähnte Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" und gilt international als anerkannter Experte auf diesem Gebiet. 2017/18 begann eine monatelange Recherche zu den Darmstädter Regimentern im Militärarchiv Freiburg.

Hannes Heer und Renate Dreesen stießen dabei auf viele Belege für deren Beteiligung an Kriegsverbrechen, darunter auch an der Ermordung von Juden. Renate Dreesen  forderte  für das Bündnis deshalb von der Stadt, dass eine Tafel die Geschichte des Denkmals erklärt und die Beteiligung der Darmstädter Infanterie-Regimenter 226 und 485 am Holocaust in der Sowjetunion und am Völkermord an der sowjetischen Bevölkerung ebenso dokumentiert wird wie die Kriegsverbrechen des 115. Darmstädter Panzerregiments im besetzten Italien 1943 bis 1945.

Der Darmstädter OB stimmte der Anbringung einer Tafel zu, wollte darauf aber nur festgestellt haben, dass die Regimenter mit den Kriegsverbrechen „in Verbindung gebracht werden". Trotz der eindeutigen Ergebnisse der Untersuchungen von Hannes Heer konnte der OB keine „Belege“ für die Verstrickung in die Wehrmachtsverbrechen erkennen. Die Beteiligung sei möglich, aber nicht bewiesen.

Zwischen Renate Dreesen für das „Bündnis gegen Rechts“ und Jochen Partsch entwickelte sich daraufhin ein umfangreicher Schriftwechsel zu diesem Thema. Hannes Heer fasste die Ergebnisse seiner Recherchen in einem 20-seitigen Brief zusammen. Noch am 14.9. teilte der OB mit, dass die Verbindung der am Denkmal genannten Regimentern nicht zwingend hergestellt werden könne und er deshalb bei der von ihm vorgeschlagenen Formulierung bleibe. Das Bündnis schlug schließlich ein wissenschaftliches Symposium vor, um die strittige Frage zu klären. Weder OB noch der Präsident der Universität hatten jedoch Interesse an einer solchen Veranstaltung. Am 25.9.2020 teilte der OB allerdings seine Bereitschaft mit, die Tafel in der von ihm vorgeschlagenen vorerst nicht anzubringen.

Am Institut für Geschichte der TU Darmstadt soll ein Forschungsstipendiat  eingerichtet werden, um die Geschichte der Darmstädter Regimenter vom Ersten bis zum Zweiten Weltkrieg von Grund neu zu erarbeiten. Dieses Vorgehen entspricht in etwa dem Umgang der Stadt mit kritisierten Ehrengräbern und Straßennamen.

Für Renate Dreesen ist die Einbeziehung des Ersten Weltkriegs in die Untersuchung aber eine falsche Fragestellung.  Der Erste Weltkrieg 1914-1918 sei ein "normaler Krieg" gewesen, kein Vernichtungskrieg wie der Zweite. Weltkrieg, dem 30 Mio. in der UdSSR, 6 Mio. Polen, 2 Mio. Jugoslawen, 800.000 Tschechoslowaken zum Opfer fielen. Mindestens 8 Millionen Juden waren unter den Opfern dieser Kriegshandlungen.

Den 1. Weltkrieg zu erforschen, sei hier nicht von Bedeutung, gefordert werde ja auch nicht, das Denkmal zu entfernen. Es gehe um die Ergänzungen zum Zweiten Weltkrieg und die Benennung der Verbrechen, an denen die Darmstädter Regimenter beteiligt waren.

Hannes Heer und die andren Autoren sind bereit, sich einem wissenschaftlichen Diskurs zu stellen und haben vor, dazu ein Symposium zu organisieren und die Ergebnisse ihrer Forschungen auch der Darmstädter Öffentlichkeit mitzuteilen und zur Diskussion zu stellen - zusammen mit der Stadt, der Universität und Akteuren der Erinnerungsarbeit. Corona bedingt musste das Vorhaben verschoben werden.

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Buchempfehlung:

Die verfälschte Erinnerung. Das Leibgardisten-Denkmal in Darmstadt,

Hrsg. von Hannes Heer, Peter Behr und Renate Dreesen, November 2018

Das Buch enthält Beiträge verschiedener Autor*innen zum Leibgardistenregiment, seinem Denkmal und vor allem die Ergebnisse der Recherchen von Hannes Heer zur Beteiligung Darmstädter Regimenter an den Kriegsverbrechen der Wehrmacht.

Das Buch ist zu beziehen bei:

Renate Dreesen

Adam-Schwinn-Str.49

64319 Pfungstadt

Tel: 06157/84470

Reinhard Raika
04.12.2020