Primark Weiterstadt

Arbeitgeber klagt – erfolglos – gegen Betriebsversammlung

Demokratische Aktivitäten in Zeiten von massiven CoronaBeschränkungen aufrechtzuerhalten, das ist kein leichtes Unterfangen. So etwas „beutelt“ besonders gewerkschaftlich orientierte Betriebsräte, die es gewohnt sind und für richtig halten, die eigenen Kolleg*innen im Betrieb über ihre Arbeit regelmäßig zu informieren und in die Interessenvertretung möglichst aktiv einzubeziehen. Sicher, der Gesetzgeber hat erst jüngst die seit 15. Mai dieses Jahres geltende Sondervorschrift des § 129 Betriebsverfassungsgesetz bis zum 30. Juni 2021 verlängert. Dadurch können beispielsweise Sitzungen von Betriebsräten als Video- oder Telefonkonferenzen stattfinden und dabei sogar gültige Beschlüsse gefasst werden. Selbst Betriebsversammlungen sind „virtuell“, also ohne Anwesenheit der Beschäftigten in einem Raum erlaubt. Allerdings war bereits in der Begründung des Gesetzes klargestellt: „Die Nutzung von Video- und Telefonkonferenzen tritt als zusätzliche Option [Möglichkeit] neben die hergebrachte Durchführung von Sitzungen unter physischer [körperlicher] Anwesenheit der Teilnehmer vor Ort als Regelfall.“ Denn ein wirklichkeitsnaher und nicht rechtlich betriebsblinder Gesetzgeber musste erkennen, dass bereits für mittelgroße Betriebe mit einer mehr als hundertköpfigen Belegschaft eine solche virtuelle Versammlung aller Beschäftigten zu einer technisch wie organisatorisch kaum zu bewältigenden Herausforderung für den Betriebsrat werden musste.

Der Betriebsrat plant eine Betriebsversammlung

Der Betriebsrat von Primark im Einkaufszentrum Loop5 in Weiterstadt sah keine Chance und besaß keine elektronischen Hilfsmittel, eine Betriebsversammlung als Telefon- oder gar als Videokonferenz zu veranstalten. Deshalb reservierte er sich beim Center-Management den größten Raum und teilte die mehr als hundert Beschäftigten auf insgesamt zwölf eilbetriebsversammlungen jeweils freitags und samstags in den drei aufeinander folgenden Wochen vor dem 20. Dezember 2020 so auf, dass höchstens neun Kolleg*innen an jedem Treffen mitwirken konnten. Darüber hinaus erarbeitete der Betriebsrat ein Hygienekonzept, wollte „das Lüften in regelmäßigen Zeitabschnitten“ garantieren und vergaß auch nicht, die Beschäftigten vorab auf die Pflicht zum Tragen eines Mund-NasenSchutzes hinzuweisen. Mehr noch: Aufgrund des eingeschränkten Kund*inneneinlasses in der Filiale und des damit fehlenden üblichen Umsatzes an solchen Tagen sorgte der Betriebsrat dafür, dass die Teilbetriebsversammlungen nicht bloß keine nennenswerten zusätzlichen Kosten verursachten, sondern auch das Geschäft durch eine gezielte Personaleinsatzplanung (fast) problemlos und störungsfrei weiterlaufen konnte. Alles also bestens vorbereitet – wenn da nicht die Geschäftsleitung gewesen wäre. Sie war wohl der Meinung, die Corona-Verordnung für sich nutzen zu können, um die demokratische Zusammenkunft der Belegschaft unterbinden zu können.

Der Arbeitgeber klagt und fällt hintenrunter

Einen Tag vor der geplanten ersten Teilbetriebsversammlung am 4. Dezember traf ihre Klage vor dem Arbeitsgericht Darmstadt auf ein eher überraschtes Richterkollegium. Die etwas kindlich anmutende Frage des Prozessvertreters von Primark, ob denn unter Corona-Bedingungen überhaupt mehre Personen zusammenkommen dürften, um eine Versammlung abzuhalten, quittierte der Betriebsrat mit der aufschlussreichen Bemerkung: „Wir müssen ja auch zusammen arbeiten!“ Das Gericht schlug eine Bresche für die Demokratie im Betrieb, wies die Klage ab und die Anwesenden darauf hin, dass jeder Betriebsrat gesetzlich verpflichtet ist, regelmäßig Betriebsversammlungen zu veranstalten.

 

(aus: „Kuckuck - Informationen für Betriebsräte und Beschäftigte Nr. 147, 21. Dezember 2020 ver.di Bezirk Südhessen Fachbereich Handel“ - eigene Überschriften)

 

 

 

 

 

ver.di Südhessen
21.12.2020
Schlagwörter: