Fahrradkuriere sind im Stadtbild mittlerweile ein gewohntes Bild. Inzwischen ist es möglich, sich nahezu alle Dinge des Alltags liefern zu lassen. Ob der Wochenendeinkauf im Supermarkt, die Getränkeversorgung für den Partyabend, die Pizza für die Kleinfamilie, fast alles, was der Durchschnittshaushalt benötigt, kann mittlerweile über Plattformen geordert und bis an die Wohnungstür gebracht werden. Die Corona-Pandemie hat diesen Unternehmen einen großen Wachstumsschub beschert.
Schlechte Arbeitsbedingungen
Eines dieser Unternehmen ist Lieferando, dessen Kuriere Essensgerichte von unterschiedlichen Restaurants zu Kunden liefern. „Auf der Internetplattform von Lieferando können Restaurants ihre Speisen zum Mitnehmen anbieten. Bei einer Bestellung liefern die Gastronomiebetriebe entweder selbst mit eigenen Fahrerinnen und Fahrern oder sie greifen auf die Kuriere von Lieferando zurück. Sobald die Vermittlung über Lieferando läuft, bezahlen die Restaurants 13 Prozent Provision. Wenn der Betrieb auch die Kuriere von Lieferando nutzt, sind es üblicherweise 30 Prozent.“ (FR, 13.8.2021)
Etwa 10.000 Kuriere beschäftigt alleine Lieferando mittlerweile. Die Arbeitsbedingungen der Fahrradkuriere sind denkbar schlecht. Sie haben in der Regel einen befristeten Arbeitsvertrag, müssen ihr eigenes Fahrrad stellen und sind für seine Wartung verantwortlich. Ihre Aufträge erhalten die Fahrer*innen per App. Das Smartphon ist also ein Arbeitsmittel, wird aber vom Unternehmen nicht gestellt.
Nach Angaben der Gewerkschaft „Nahrung – Genuss -Gaststätten“ (NGG) zahlt Lieferando einen Basisstundenlohn von zehn Euro, das sind 40 Cent mehr als Mindestlohn. Zwar gebe es Boni für besonders viele ausgelieferte Bestellungen, die würden aber meist nicht besonders hoch ausfallen. Ab der fünfundzwanzigsten ausgelieferten Bestellung im Monat bekomme ein Fahrer 25 Cent pro Order zusätzlich. Ab 100 Bestellungen wachse der Bonus auf einen Euro pro Order, ab 200 auf zwei Euro. „Das erreichen die meisten Kurierfahrer aber nie“, zitiert die Frankfurter Rundschau die NGG-Gewerkschaftssekretärin Laura Schimmel. (FR, 13.8.2021)
Kuriere werden aktiv
Lieferando ist eindeutig das führende Unternehmen in dieser Branche. Es treten jedoch verstärkt andere Unternehmen auf den Plan, die etwas vom Kuchen abhaben wollen. Ein wachsender Markt und neue Unternehmen, die Kuriere suchen: Das bietet Möglichkeiten, bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. In vielen Orten gibt es Proteste und Streiks unter den Fahrradkurieren. Mal werden sie von der NGG unterstützt, mal von autonomen Kollektiven der Beschäftigten oder auch von alternativen Kleingewerkschaften wie der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiterunion (FAU). Für einiges Aufsehen sorgte der Streik der Fahrer*innen bei Gorillas in Berlin im Februar dieses Jahres. Es brodelt aber auch in anderen Orten.
Mit „Liefern am Limit“ hat die NGG ein eigenes Portal für Lieferdienste eingerichtet und will die Fahrer*innen organisieren. Bei Lieferando stellt die NGG mittlerweile eine Tarifforderung auf: Mindestens 15 Euro pro Stunde, Zahlung eines 13. Monatsgehalts, Angemessene Zuschläge für Schichten am Abend, an Sonntagen und an Feiertagen, sechs Wochen Urlaubsanspruch, volle Bezahlung der letzten Fahrt nach Hause.
Einen ersten Erfolg konnten die Lieferando-Kuriere erreichen: Das Unternehmen sagte zu, neue Beschäftigte nur noch unbefristet einzustellen und auch die bestehenden Arbeitsverträge zu entfristen.
Betriebsratswahl in Darmstadt ungültig?
Weiterhin stur zeigt sich Lieferando aber, wenn es um die Wahl zu Betriebsräten geht. So hatten Beschäftigte in Darmstadt einen Betriebsrat gewählt, den das Unternehmen jedoch nicht anerkannte, da es in Darmstadt keinen eigenständigen Betrieb von Lieferando gebe. Das Arbeitsgericht Darmstadt stimmte dieser Ansicht zu und erklärte die Betriebsratswahl für ungültig. Die Beschäftigten haben jetzt das Arbeitsgericht Frankfurt als nächste Instanz angerufen. Es wird dabei auch darum gehen, wie weit ein Betriebsbegriff aus vergangenen Jahrzehnten noch auf die heutige Plattformökonomie anwendbar ist.
Näheres zu diesem Fall ist dem Artikel von Maximilian Henning in netzpolitik.org zu entnehmen:
Lieferando: Verfahren um Darmstädter Betriebsrat geht in zweite Instanz (Creative Commons CC-BY-NC)