Klassenkampf auf der Raststätte

Auf der Raststätte Gräfenhausen verweigern LKW-Fahrer die Weiterfahrt

Seit knapp zwei Wochen haben LKW-Fahrer des polnischen Firmenkonsortiums Lukmaz, Agmaz und Imperija die Arbeit niedergelegt und parken mit den knallblauen Firmen-LKWs auf verschiedenen europäischen Rastplätzen. Einer dieser Orte ist die Raststätte Gräfenhausen zwischen Frankfurt und Darmstadt, wo sich etwa 40 georgische und usbekische Fahrer versammelt haben. Auch in Südtirol, der Schweiz und in Niedersachsen haben Fahrer dieser Spedition ihre LKWs geparkt und fahren nicht weiter.

In einer Mitteilung des DGB Südhessen heißt es:

"Sie werden von der Firma ausgenutzt und um ihre grundlegenden Rechte gebracht. Während ihrer Arbeitseinsätze leben Berufskraftfahrer*innen, die im internationalen Straßentransport tätig sind, ausschließlich in ihren Fahrzeugen. Einige Fahrer, die derzeit in Gräfenhausen stehen leben so schon seit mehr als einem Jahr. Kosten für die Bezahlung von Parkplätzen, Benutzung von Toiletten, Duschen oder Unterkunft auf Rastplätzen werden in diesem Bereich, in aller Regel von den Arbeitgebern nicht übernommen. Spesen stehen somit für den eigentlichen Zweck – Bezahlung von Verpflegung und Unterkunft während der Touren – nicht zur Verfügung. Unter anderem deswegen muss auch die Verpflegung selbst organisiert werden: Zum alltäglichen Bild auf dem Rastplatz gehören Gaskocher, auf denen Fahrer*innen in- oder neben ihren Lkws kochen, Wasserkanister zum Waschen und Spülen und in die Klappen der Zugmaschinen gespannte Wäscheleinen.

Kolleg*innen aus der Branche berichten Immer wieder von Gewalt und Einschüchterungen durch die Arbeitgeber. Sie werden genötigt Arbeitsverträge in Sprachen zu unterschreiben, die sie nicht sprechen. Nicht selten werden die letzten Gehälter nach einer Kündigung gar nicht mehr ausgezahlt.

Die Fahrer, die jetzt die Arbeit niedergelegt haben wehren sich gegen diese Zustände. Auch Ihnen wurde für die letzten 50 Tage kein Lohn mehr gezahlt. Außerdem wurde ihnen vom Unternehmen mitgeteilt, dass der Sonntag nicht mehr bezahlt werden soll. In der Information des DGB heißt es weiter: „All diese Verfehlungen und diese unwürdigen bis menschenverachtenden Arbeitsbedingungen finden auf deutschen Straßen und Rastplätzen statt. Dem muss ein Ende gesetzt werden. Politisch werden wir uns in den kommenden Wochen damit noch intensiver beschäftigen (verschärfte Kontrollen, Sozialräume, Infrastruktur in Gewerbegebieten, Sozialmaut, Gesetzgebung etc.).  Jetzt gilt es allerdings erst einmal den Kolleg*innen in ihrem Kampf beizustehen und verstärkt auf das Thema aufmerksam zu machen.

Auf Anfrage der georgischen Gewerkschaft GTUC unterstützen die niederländische Gewerkschaft FNV und das Road Transport Due Diligence Team (RTDD) die Fahrer. Faire Mobilität Frankfurt und die katholische Betriebsseelsorge sind vor Ort, übersetzten und leisten Beistand."

Am Samstag, dem 1.4. erhielten die Streikenden Besuch von mehreren Gliederungen benachbarter Gewerkschaftsorganisationen. Delegationen der DGB Verbände aus Darmstadt, dem Odenwald und der Bergstraße Darmstadt fuhren mit Autos vor und hatten den Kofferraum voll mit Lebensmitteln zur Verpflegung des Streikenden. Auch eine Abordnung von ver.di machte auf der Rückfahrt von einer Klausurtagung Halt und hatte Verpflegung dabei.

Nach einem Bericht der Frankfurter Rundschau hat sich mittlerweile auch der Unternehmer vor Ort blicken lassen. Er räumt ein, dass mangels Aufträgen  die Sonntagsvergütung vorübergehend ausgesetzt sei. Die Arbeitsverträge aber seien legal und er ist sich keiner Schuld bewusst. Die Fahrer seien nicht fest angestellt, sondern selbständig, er verteile nur die Aufträge. Nach Anna Weirich von der Beratungsstelle „Faire Mobilität“ des DGB bezeichnet die Arbeitsverträge als ein typisches Beispiel von Scheinselbständigkeit und damit nach EU-Recht eigentlich unzulässig. Aber natürlich ist Menschen aus Georgien und Usbekistan europäisches Arbeitsrecht nicht bekannt.

Er hat auch gleich Ersatzfahrer mitgebracht, die die LKWs an ihre Zielorte fahren sollten. Besonders die noch beladenen LKWs sind für ihn von Interesse, da er für die verspätete Lieferung wohl hohe Vertragsstrafen zu erwarten hat. Die zum Streikbruch mitgebrachten Fahrer erklärten sich jedoch solidarisch und verweigerten den Weitertransport der Ware. Außerdem haben die Streikenden die beladenen LKWs durch die Leeren so eingekeilt, dass eine Weiterfahrt nur schwer zu bewerkstelligen ist.

Hessenschau:

40 Lkw-Fahrer aus Osteuropa streiken bei Darmstadt - Video: | hessenschau.de | TV-Sendung

Frankfurter Rundschau:

https://www.fr.de/wirtschaft/aufstand-der-ausgebeuteten-92185718.html

Reinhard Raika
03.04.2023