OB-Wahl Darmstadt 2023

Die grüne Niederlage – Arroganz der Macht und Ökologie als Fassade

Das Ergebnis der OB-Wahl in Darmstadt empfanden viele als politische Sensation: Hanno Benz von der SPD, als Außenseiter gehandelt, siegte in der Stichwahl mit deutlichen 54,7%. Michael Kolmer, das „beste Pferd im Stall“ der Grünen, kam lediglich auf 45,3 %. Die Grünen-Stadtpolitiker konnten es nicht fassen, dass nach 12 Jahren Amtszeit ihres Grünen-OB’s Partsch, dieser Posten nun ausgerechnet an die SPD ging. Noch-OB Partsch war so geschockt und zeigte sich als schlechter Verlierer, dass er Hanno Benz am Wahlabend nicht einmal zu seiner Wahl gratulierte. Dabei stellten die Grünen-Politiker für sich selbst nur die besten Noten aus, sie lobten ihre ökologische Politik, die praktizierte Bürgerbeteiligung und sie haben Darmstadts Wirtschaft vorangebracht. In Untertönen schwang mit, die Darmstädter*innen seien undankbar, erkennen ihre Leistungen nicht an und in dem neuen SPD-OB sehen sie die Gefahr eines Bremsers für die „grüne“ Politik. Deutliche Anzeichen einer abgehobenen Politik, die die realen Entwicklungen in der Bevölkerung nicht mehr wahrnimmt.

Krachende Niederlage Kolmers in den nördlichen Stadtteilen

Die schlechtesten Ergebnisse erzielte der Kandidat der Grünen in den Darmstädter Vororten und auch in Darmstadt-West. Kolmer gewann die Wahl nur in den Darmstädter Bezirken Nord (54,9%), Bessungen (51,6) und Mitte (51,5%). In den übrigen Bezirken siegte Benz, mit meist deutlicherem Vorsprung: Darmstadt-West (64,6%), Eberstadt (59,6%), Kranichstein (56,2%), Darmstadt-Ost (52,4%). Die Ergebnisse in Arheilgen und Wixhausen waren ein Desaster für den grünen Kandidaten. Kolmer erzielte in Arheilgen lediglich 28,6 % und in Wixhausen sogar nur 23,0 %, dort in einem Wahlbezirk peinliche 13,8 %. Diese Stadtteile sind zwar alte SPD-Hochburgen, das erklärt aber nicht allein die verheerende Niederlage des Grünen-Kandidaten.

Arheilgen und Wixhausen – besonders gebeutelt von „grüner“ Politik

In der Bevölkerung Arheilgens und Wixhausens stieß die städtische Politik der Grünen auf deutliche Kritik, ja, auf offene Ablehnung. In dem Masterplan 2030+ für Darmstadt, veröffentlicht im September 2020, sind 230 Hektar Ackerflächen zwischen Arheilgen und Wixhausen sowie im Westen von Arheilgen als „Potentialfläche“ für Gewerbegebiete ausgewiesen. An der Entwicklung und Ausarbeitung des Masterplans 2030+ war der langjähriger Leiter des Amtes für Wirtschaft und Stadtentwicklung, Michael Kolmer, verantwortlich beteiligt. Es folgten heftige Proteste, Unterschriftensammlungen, Stadtteilversammlungen und Aktionen gegen diese Planung, insbesondere getragen von der IGAB (Interessengemeinschaft Arheilger Bürger). In der Apo (Arheilger Post), verbreitet in Arheilgen, Wixhausen und Kranichstein, errschienen beinahe wöchentlich Artikel und Leserbriefe zu diesem Thema. Auch das Vereins- und kulturelle Leben ist in diesen Stadtteilen noch sehr ausgeprägt, so dass dieses „grüne“ Politikvorhaben in vielen Diskussionen breit abgelehnt wurde.

Parallel dazu kochte innerhalb Arheilgens die Diskussion um den geplanten Bau eines zweiten Aldi-Marktes im alten Stadtkern hoch. In den siebziger Jahren erstellte das Stadtplanungsamt verbindliche Vorgaben für die Privathäuser, um den kulturhistorischen Ortskern zu erhalten. Wo nun die aufwendig renovierten Häuser stehen, soll nun eine riesiger Betonklotz reingesetzt werden. Wiederholt hatten die Arheilger*innen darauf hingewiesen, dass die Einkaufsituation in ihrem Zentrum vollkommen ausreiche und ein riesig dimensionierter Discounter überflüssig sei. Auch dagegen gab es Aktionen und Demonstrationen vor dem Stadtparlament. Der Darmstädter Magistrat hatte das Grundstück bereits 2017 heimlich an Aldi verkauft und hielt diese Information lange auf den von der Stadt anberaumten „Bürgerversammlungen“ zurück. Auf der Kandidatenbefragung der IGAB zur OB-Wahl gab sich Kolmer weiter unbeeindruckt von den Protesten und meinte, Arheilgen brauche einen zweiten Discounter und er kenne auch welche Arheilger*innen, die für diesen Bau seien.

Die Wixhäuser*innen forderten dagegen seit Jahren einen eignen Einkaufsmarkt für ihren Stadtteil, um ihre Lebensmittelversorgung vor Ort sicher zu stellen. Wiederholt kritisieren sie an der Stadtregierung, dass sie als Stadtteil regelmäßig vernachlässigt werden (erst jetzt beginnen langsam die Planungen für einen ersten Lebensmittelmarkt in Wixhausen). Auch ihr Naherholungsgebiet ist bereits ziemlich geschädigt. Für den neuen Ringbeschleuniger der GSI sind 10 Hektar Wald gerodet worden, daneben steht nun ein neun(!)stöckiges Parkhaus für die Beschäftigten, nebendran riesige Sandhügel.

Im Jahr 2022 lüftete sich ein weiterer Skandal. Bereits im Jahr 2016 hatte die Stadt Darmstadt ein Klimagutachten erstellen lassen, das aber bis Juni 2022 unter Verschluss gehalten wurde. Der damals zuständige Klima- und Planungsdezernet Kolmer begündete dies damit, das Gutachten habe „missverständliche Inhalte“ und es könne „falsch interpretiert“ werden. Auf öffentlichen Druck hin musste das Gutachten veröffentlicht werden, und es kam heraus, dass die für das neue Gewerbegebiet vorgesehene Fläche vollflächig in eine „besonders schützenswerte“ Kaltluftzone hinein geplant wurde. Der Magistrat musste daraufhin die Pläne zur Bebauung der Ackerflächen zwischen Arheilgen und Wixhausen zurücknehmen.

Die Arheilger*innen und Wixhäuser*innen feierten dies als riesigen Erfolg. Weshalb sollten sie dann noch Kolmer wählen, der ihnen das alles zugemutet hatte? zumuten

Paradox? Grüne Politik erhöht die Zahl der Einpendler

Während die Politik der Grünen die nördlichen Stadtteile besonders hart traf, machten natürlich auch die anderen Stadtteile ihre Erfahrungen mit der Politik des Grün geführten Magistrats. Hervorsticht die geplante Bebauung im Nordpark, Luxuswohnungen rund um einen kleinen See, von OB Partsch gelobt als attraktive Häuser für Besserverdienende.

Entscheidend für die Stadt Darmstadt sind aber die Zielvorstellungen im Masterplan 2030+: Darmstadt soll auf eine Bevölkerung von 184.000 im Jahr 2035 wachsen, parallel auch die ausgewiesenen Gewerbeflächen. Solch ein Wachstumsfetischismus passt nicht mehr in die heutige Zeit. Dabei wächst die Zahl der Einpendler nach Darmstadt ständig, zum Jahresende 2022 auf fast 75.000. Die Forderung nach mehr Gewerbeflächen erhöht zwangsläufig die Zahl der Einpendler und treibt die Verkehrsströme in die Höhe. Das ist offensichtlich unvereinbar mit den formulierten Klimaschutzzielen der Grün-Schwarz-Volt-Stadtregierung, auf die immer so gern verwiesen wird. So wurde die Ansiedlung der Alnatura-Firmenzentrale in Darmstadt als großer Erfolg gefeiert, die prima in das Portofolio dieser „attraktiven“ Stadt passe. Aber warum hat man die 500 Mitarbeiter*innen nicht in Bickenbach belassen, die Region gestärkt und Pendlerströme nach Darmstadt verringert?

Verteuerung der Parkplätze und gleichzeitige Erhöhung der Fahrpreis für den ÖPNV

Die Parkraumbewirtschaftung in Darmstadt wurde übers Knie gebrochen und soziale Aspekte nicht berücksichtigt. Parkausweise für die Anwohner sollen 120 € im Jahr kosten, ohne Garantie auf einen Parkplatz. Menschen, die wegen ihres Berufs auf ein Auto angewiesen sind oder die regelmäßig zu Familienangehörigen fahren müssen, werden nicht in ausreichendem Maße alternative Abstellorte angeboten. Und ein SUV kostet genauso viel wie ein Kleinwagen. Auch die besser gestellten Hausbesitzer haben einen immensen Vorteil: natürlich können sie nach wie vor umsonst auf ihrem eigenen Grundstück parken. Was aber eine ernsthaft betriebene Verkehrswende verhindert, ist parallel zu diesen Parkeinschränkungen die Preise für den ÖPNV immer weiter zu verteuern. Die HEAG erhöhte 2022 zweimal die Tarife. Eine Hin- und Rückfahrt für eine Person von den Vororten in die Innenstadt kostet nun stolze 6,15 €. So wichtig eine Einschränkung des Individualverkehrs ist, ohne einen attraktiven und preiswerten ÖPNV ist die Verkehrswende nicht zu schaffen.

Grüne „Zwangsbekehrung“

Auch die aktuell eingeführte „Zwangsbekehrung“ sorgte in den äußeren Stadtteilen für Unmut. Es gab keine nennenswerten Klagen über nicht-gekehrte Bürgersteige, geschweige denn eine Diskussion oder eine längere Ankündigung dieser Maßnahme. Hausbesitzer - oder durch Umlage die Mieter – zahlen im Jahr an die 100 Euro an Gebühren, Besitzer von Eckgrundstücken das Doppelte. Auch hintenliegende Grundstücke werden von der Gebühr erfasst, zusammen mit den vorne liegenden Grundstücken. Die Kehrgebühr wird damit doppelt abgerechnet. Viele Hausbesitzer sehen in den aufgezwungenen Kehrdiensten des EAD gegen Bezahlung eine willkürliche Maßnahme der Stadtregierung.

Wird mit Hanno alles besser?

Viele Darmstädter*innen haben einfach die arrogant anmutende Politik der Grünen satt. Den unsensiblen und brutal anmutenden Rauswurf der Stadträtin Barbara Boczek, ebenso die Entfernung von Rafael Reißer, nutzten Grüne und CDU zielstrebig, um mit der Neubesetzung der Stadtratsposten mit Michael Kolmer und Paul Wandrey ihre Kandidaten für den OB-Wahlkampf in eine gute Ausgangsstellung zu bringen. Natürlich bezahlt aus Steuergeldern. Alt-Darmstädter*innen fühlten sich an die Kungeleien der einstmaligen SPD-Stadtregierung erinnert.

Noch ist nicht ganz klar, wofür Hanno Benz bei vielen Themen der Stadtpolitik konkret steht. Die Wahl von ihm ist eher als eine Protestwahl gegen die abgehobene Politik der Grünen aufzufassen. Die verfestigte grüne Machtpolitk ist aber nun aufgebrochen und es kommt neue Bewegung in die Stadtpolitik. Anforderungen an Benz werden sein, den Masterplan 2030+ der Stadt Darmstadt kräftig „down zu sizen“, Formen einer wirksamen Bürgerbeteiligung zu installieren, eine Verkehrspolitik zu entwickeln, die zusammen mit der Region die Pendlerströme eingrenzt, den ÖPNV auch ins Umland ausbaut, die ÖPNV-Preise senkt und erst mal sozial staffelt.

Das geht alles nicht im Selbstlauf. Die Bürgerinitiativen und die Klimabewegung müssen kräftig den Druck von unten aufbauen.

 

 

 

 

 

 

 

Erhard Schleitzer
06.04.2023