Israel – Palästina – Gaza

Diskussionen in der Darmstädter Stadtgesellschaft

Der Krieg im Gazastreifen spielt auch in der deutschen Politik eine wichtige Rolle. Die Bundesregierung und alle führenden Medien betonen immer wieder, die Solidarität mit Israel sei Staatsräson. Kritik an der israelischen Kriegsführung wird – wenn überhaupt – nur sehr zurückhaltend geübt. Gleichzeitig gibt es Demonstrationen gegen das Vorgehen der israelischen Armee, die häufig mit dem Vorwurf des Antisemitismus konfrontiert werden. Innenpolitisch entwickelte sich eine sehr zugespitzte Auseinandersetzung um das richtige Verhältnis zum Krieg in Nahost.

Kein Wunder also, dass sich auch das Darmstädter Stadtparlament mit diesem Thema befasste. Die Fraktion der GRÜNEN brachte eine Resolution ein, der sich die Fraktionen von SPD, CDU, Volt, FDP und Uffbasse anschlossen. Diese Resolution gibt genau die Positionen wieder, die auch von der Bundesregierung und der CDU-Opposition vertreten werden. Unstrittig dürfte die vorbehaltlose Verurteilung des Überfalls der Hamas auf Israel am 7.Oktober sein. Weiter heißt es: „Die Verantwortung für die aktuelle Eskalation und ihre Folgen tragen die Terrororganisation und ihre Unterstützer in der Region.“ Folgerichtig wird die Solidarität mit der israelischen Partnerstadt Naharija und dem israelischen Staat betont. „Wir sind der Sicherheit Israels verpflichtet. Das ist deutsche Staatsräson.“

Zugleich wendet sich die Resolution „gegen jede Form von Antisemitismus, gegen Anti-Israel-Hetze, gegen Rassismus und Gewalt.“ Es wird gefordert, dass an Darmstädter Schulen, in Sportvereinen und allen städtischen Einrichtungen Maßnahmen gegen Antisemitismus konsequent umgesetzt werden und die Stadt Darmstadt weder mit Organisationen zusammenarbeitet noch diese unterstützt, die offen oder verdeckt Antisemitismus propagieren oder das Existenzrecht Israels in Frage stellen. Gefordert wird der Austausch mit der jüdischen Gemeinde und die notwendigen Maßnahmen zu ihrem Schutz.

Linksfraktion enthält sich

Lediglich die Linksfraktion wollte sich dieser Resolution nicht anschließen und enthielt sich der Stimme. Uli Franke begründete in seiner Rede die Haltung seiner Fraktion. Auch er verurteilte die „furchtbaren Massaker, den Raketenbeschuss und die Geiselnahmen der Hamas.“ Doch sei das kein Grund solidarisch an der Seite Israels zu stehen. Solidarität mit einem Staat beziehe ich immer auch auf seine Politik.

Als Kritikpunkte an der israelischen Politik nannte er „die Besiedlung und Besetzung des Westjordanlands zu verantworten, ebenso die weitgehende Abriegelung des Gazastreifens mit all den erdrückenden Folgen für die dortige Bevölkerung.“ Den nach dem Angriff der Hamas

durch die israelische Regierung in Gang gesetzte massive Krieg nannte er völkerrechtswidrig und kritisierte die „enorme Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung“ und die weitgehende Zerstörung der sozialen Infrastruktur in GazaNatürlich trete Die Linke für das Existenzrecht Israels ein. Eine nachhaltige und gerechte Friedenslösung, könne es aber „nur geben wenn gleichzeitig das Recht der Palästinenser auf eine eigene Staatlichkeit anerkannt und durchgesetzt wird.“

Die Rechtfertigung von Terrorangriffen und antisemitischer Hetze könne nach Auffassung der Linksfraktion nicht unter den Schutz der Meinungsfreiheit gestellt werden. Allerdings gehe der deutsche Diskurs und auch das Verwaltungshandeln oftmals weit über die berechtigte Tabuisierung solcher Menschenfeindlichkeit hinaus. Das hat vielerorts dazu geführt, dass Demonstrationen auf bloßen Verdacht hin untersagt und Veranstaltern mit fragwürdigen Argumenten die Räume verweigert wurden.

So würden auch palästinensische und arabisch-muslimische Menschen dem Generalverdacht des Antisemitismus ausgesetzt, wenn sie sich für ein Ende des Bombardements in Gaza einsetzen oder ihre Sicht auf den Nahostkonflikt ansprechen. Auch der antimuslimische Rassismus habe nach dem 7.Oktober neue Nahrung bekommen. Uli Franke forderte daher, die Stadt müsse auch auch den Dialog mit der palästinensischen Gemeinde oder mit Vertreter:innen entsprechender Moscheen zu suchen.

 

OB Benz will Antisemitismus-Beauftragten

Bei derselben Sitzung der Stadtverordneten teilte OB Hanno Benz mit, dass auch in Darmstadt die Stelle eines Antisemitismus-Beauftragten eingerichtet werden soll. „Der Stadt gehe es darum, vor Ort besser auf konkrete Vorfälle von Antisemitismus zu reagieren und ein entsprechendes Signal an die Gesellschaft zu senden. Antisemitismus werde sichtbarer und stärker, darauf müsse auch sichtbarer reagiert werden.“

Solche Beauftragte gibt es Bundes- und Landesebene und auch in vielen Städten. Die Praxis dieser Beauftragten zeigt eine meist sehr weite Auslegung des Begriffs Antisemitismus. Zum Beispiel Uwe Becker, der Landesbeauftragte für Hessen, scheint es sich zum Ziel gesetzt zu haben, unter dem Label „Kampf dem Antisemitismus“ jede Kritik an der israelischen Besatzungspolitik und der Kriegsführung der israelischen Armee zu unterbinden. Demonstrationsverbote, das canceln von politischen und kulturellen Veranstaltungen sind regelmäßige Forderungen.

Das Darmstädter Friedensbündnis sieht hierin die Gefahr einer Einengung der politischen und kulturellen Freiheit. Mit einem Offenen Brief an den Oberbürgermeister und die Stadtverordnetenfraktionen bringt das Bündnis diese Befürchtung zum Ausdruck. Im Offenen Brief heißt es: „Jetzt gilt hierzulande jegliche Kritik an der israelischen Politik und an einem rechtsnationalistischen Zionismus als „israel-bezogener“ Antisemitismus. Greta Thunberg, Jeremy Corbyn, Roger Waters sowie Judith Butler, Masha Gessen, Deborah Feldman zusammen mit zahlreichen anderen antizionistischen Jüdinnen und Juden werden in einen Topf des Antisemitismus geworfen. Es herrscht eine Atmosphäre der Verdächtigung und Cancel-Culture gleichgültig dem gegenüber, wie die israelische Regierung politisch und militärisch handelt.“

Das Friedensbündnis appelliert daher an den Oberbürgermeister und die Stadtverordneten, von einseitigen, undifferenzierten Antisemitismus-Vorwürfen Abstand zu nehmen und der notwendigen Kritik an der israelischen Politik Raum zu geben.

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Antisemitismus – auch eine Frage der Definition:

 

Die in Deutschland herrschende Auslegung des Begriffs Antisemitismus“ bezieht sich auf die „Arbeitsdefinition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken“(IAHR). Diese Arbeitsdefinition setzt ihren Schwerpunkt auf den „israelbezogenen Antisemitismus“ (sieben von elf aufgelisteten Beispielen für Antisemitismus beziehen sich auf die Politik des Staates Israel).

Kritiker*innen dieser Arbeitsdefinition der IAHR haben nun im März 2021 mit der „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“ eine alternative Definition des Antisemitismus vorgelegt, die vermeiden soll, dass der Antisemitismus-Vorwurf zur Verhinderung von Kritik an der israelischen Politik missbraucht wird. Neben Beispielen, die per se antisemitisch seien, werden auch Beispiele genannt, die sich kritisch mit dem Staat Israel auseinandersetzen, aber nicht per se als antisemitisch angesehen werden.

Reinhard
01.01.2024
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