Die evangelische Darmstädter Michaelsgemeinde präsentiert sich anders als die meisten anderen Kirchengemeinden. Das ist rein äußerlich schon an dem Transparent der „Letzten Generation“ zu sehen, das den Kirchturm der Gemeinde schmückt. Pfarrer Werner legt Wert darauf, dass es in seiner Gemeinde eine Tradition von offenem Dialog gibt. „Die Möglichkeit, dass kontroverse Gruppen miteinander, statt übereinander, sprechen ist für uns ein hoher Wert.“ In diesem Sinne gab es immer wieder Veranstaltungen und Diskussionsrunden zu umstrittenen Themen. So z.B. auch zum Krieg in Gaza oder in der Ukraine. Ein „Antikolonialistischer Friedensweihnachtsmarkt“ am dritten Adventssonntag gehörte zu diesem Konzept. Möglich, dass diese Offenheit einige Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche störte. Das jedenfalls wäre eine Erklärung für den bundesweiten Skandal, den der kleine Weihnachtsmarkt hervorgerufen hat.
Eine Palästinasolidaritätsgruppe verkaufte Schlüsselanhänger und Gebäck mit Symbolen und Parolen, die eine antisemitische Einstellung ausdrücken würden. Pfarrer Werner erklärte hierzu auf der Homepage seiner Gemeinde: „Ein Journalist hat diese Symbole fotografiert und veröffentlicht. Hätte er mich bzw. die Ausrichter des Weihnachtsmarktes auf diese Symbole hingewiesen, wären diese unmittelbar von dem Weihnachtsmarkt entfernt worden. Das Vorgehen des Journalisten, der diese Symbole skandalisierte, weise ich zurück. Ich hätte mir den Dialog mit ihm gewünscht.“
Statt dessen wurden diese Bilder schon am nächsten Tag bei der Bildzeitung mit extrem reißerischen Überschriften veröffentlicht: „Judenhass auf dem Kirchenweihnachtsmarkt“ und drei Tage später: „Kripo jagt Judenhasser vom Kirchenweihnachtsmarkt“. In jedem dieser Artikel die Fotos der anstößigen Objekte. Die Absicht, die Michaelsgemeinde und den Pfarrer in einen Skandal zu verwickeln ist ziemlich eindeutig. Als Quellenangabe der Fotos in den BILD-Artikeln wird „Honestly Concerned e.V.“ genannt. Bei diesen „ehrlich Besorgten“ handelt es sich um eine Gruppe, die auf ihrer Homepage vorwiegend zwei Themen behandelt: Die Verteidigung des Staates Israel einschließlich seiner maßlosen Kriegsführung und die Diffamierung von Kritik an der Politik des Staates Israel als antisemitisch. Ziel ist es, Kritiker*innen des Staates Israel mundtot zu machen oder nachhaltig zu schädigen.
Das funktionierte auch im Fall von Pfarrer Werner. Die Kirchengemeinde wurde mit Strafanzeigen der evangelischen Kirche, der jüdischen Gemeinde, vom hessischen Antisemitismusbeauftragten Jürgen Becker und von Oberbürgermeister Benz überschüttet. Auch das Darmstädter Echo beteiligte sich an der Diffamierung. Die Kirche hat ihn vom Dienst freigestellt. In einem Shitstorm muss er Beschimpfungen der schlimmsten Art über sich ergehen lassen und er erhielt sogar Morddrohungen. Ein Mitglied des Kirchenvorstands sah sich zum Rücktritt gezwungen.
Doch das sind nicht nur Angriffe gegen Manfred Werner, sondern gegen alle, die sich kritisch mit der Politik der israelischen Regierung auseinandersetzen. An seinem Beispiel soll deutlich gemacht werden, was jenen droht, die sich in Wort und Tat der „Staatsräson“ genannten blinden Solidarität mit dem israelischen Staat verweigern. Die Grenzen für Kritik an der israelischen Kriegsführung und an der Besatzung des Westjordanlandes werden so immer enger gezogen. Auch deshalb ist es notwendig dieser Kampagne von BILD und Honestly Concerned entgegenzutreten.