Verhandlungen ohne Ende?

Das Rätsel der Konversionsflächen

In Darmstadt wird es immer schwerer bezahlbaren Wohnraum zu finden. Die Mieten steigen unaufhörlich, auf eine angebotene Wohnung kommt eine Vielzahl von Bewerber_innen. Entlastung könnten hier die sogenannten Konversionsflächen bringen, also die Umwandlung der ehemaligen US-Kasernen in Wohnungen. Die Kasernen stehen seit 2008 leer, und seit dieser Zeit gibt es Verhandlungen zwischen der Stadt und der BImA, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Unklar bleibt der Öffentlichkeit aber, warum sich diese Verhandlungen so in die Länge ziehen und keine Ergebnisse bringen.

Darmstadt gehört zu den Wachstumsregionen. Während in vielen ländlichen Regionen ein Rückgang der Bevölkerung zu verzeichnen ist, gehört Darmstadt zu den eher boomenden Städten mit einem kontinuierlichen Anstieg der Zahl der Einwohner_innen. Lebten im Jahr 2008 noch knapp über 141.000 Menschen in Darmstadt, so wuchs die Zahl bis zum Sommer 2013 auf über 150.000 an. Darmstadt ist somit die am stärksten wachsende Stadt Hessens. Maßgeblich daran beteiligt sind natürlich die Hochschulen, die viele Student_innen anziehen. Doch gibt es auch Zuzug aus dem Umland. Menschen, die die Stadt verließen als sie Nachwuchs bekamen und im Umland eine preisgünstigere und ruhigere Wohnung suchten, kehren in die Stadt zurück, wenn die Kinder aus dem Haus sind und wollen wieder die Vorteile der Stadt nutzen.

Die Zahl der Wohnungen hält mit dieser Entwicklung nicht mit. Die Anzahl der neu erstellten Häuser kann die wachsende Einwohnerzahl nicht ausgleichen. Die Wohnungsversorgungsquote nimmt folglich ebenfalls ab, die Differenz zwischen Angebot und Nachfrage wird immer größer, auch wenn der Unterschied noch nicht so groß ist wie Mitte der neunziger Jahre. Da das Wohnungswesen über den Markt gesteuert wird, hat dies steigende Mieten zur Folge. Nach Berechnungen des Instituts Wohnen und Umwelt (IWU) stieg der Quadratmeterpreis für angebotene  4-Zimmer-Wohnungen von 7,67 Euro im Jahr 2007 auf 8,67 Euro im Jahr 2011. Für 1-Zimmer-Wohnungen stieg der Preis im selben Zeitraum von 9,72 Euro auf 11,34 Euro.

Wohnungsbaugesellschaften und Investoren erstellen Neubauten fast nur noch in den oberen Preissegmenten. Auch in Darmstadt werden in den vorhandenen Baulücken nur noch Luxuswohnungen gebaut, die in der Regel dann als Eigentumswohnungen verkauft werden. So können durch den Verkauf oder durch Vermietungen hohe Renditen erzielt werden. Da durch die Finanzkrise und niedrige Zinsen die Gewinnerwartungen bei anderen Kapitalanlagen stark zurückgegangen sind, erwarten Investoren hier ansehnliche Profite, und sogar Hedgefonds steigen ins Immobiliengeschäft ein. Die Verwertung des eingesetzten Kapitals ist Zweck dieser Investitionen. Eine Wohnung kann unter diesen Bedingungen nur erhalten, wer in der Lage ist, Mieten zu zahlen, die es den Investoren ermöglichen, die gewünschten Gewinne zu realisieren.

Fehlende Sozialwohnungen

Vor allem für Menschen mit niedrigem Einkommen wird es so immer schwieriger bezahlbaren Wohnraum zu finden.  Die Lage wird verschärft durch einen rasanten Rückgang bei Sozialwohnungen. Im Jahr 1987 gab es in Darmstadt noch über 15.000 Sozialwohnungen, das waren 22,6 Prozent aller Wohnungen. 2010 gab es nach Angaben des IWU noch  5.369 Sozialwohnungen, was einem Anteil von 6,9 Prozent am Gesamtwohnungsbestand entspricht. Heute gibt es in Darmstadt weniger als 5000 Sozialwohnungen. Hat die Verdrängung einkommensschwacher Schichten aus attraktiven Wohnlagen in Darmstadt auch noch nicht die Ausmaße wie in Berlin oder Hamburg, so sind doch schon Ansätze in dieser Richtung festzustellen. Die Stadt Darmstadt will nun jährlich einhundert neue Sozialwohnungen bereitstellen. Wie die vorher genannten Zahlen zeigen, kann ist dies allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein sein. 75 Sozialwohnungen sollen neu gebaut werden, und 25 Wohnungen sollen aus dem Bestand umgewandelt werden. Durch die Umwandlungen jedoch wird die Zahl nicht geförderter bezahlbarer Wohnungen vermindert. Die neuen Sozialwohnungen sollen aus dem Gewinn des städtischen Bauvereins finanziert werden. Dies wird vom Mieterbund kritisiert, da die Gewinne des Bauvereins vor allem aus Mieteinnahmen stammen. So müssten vor allem die Mieter_innen des Bauvereins die Finanzierung der Sozialwohnungen tragen, obwohl sie selbst in der Regel nicht zu den Gutverdienenden gehören. Um die nötigen Gewinne erzielen zu können, dreht auch der Bauverein an der Preisschraube.

Was ist mit den Kasernen?

In dieser Situation stellt sich natürlich die Frage nach den ehemaligen US-Kasernen. Siebenhundert Wohnungen stehen dort seit 2008 leer, und ein Ende dieses Zustands ist nicht absehbar. Vor allem in der Lincoln-Siedlung an der Heidelberger Straße gäbe es Möglichkeiten schnell neuen Wohnraum zu schaffen. Mit dem Abzug der amerikanischen Soldaten sind Grundstück und Gebäude in den Besitz der BImA übergegangen. Ihr Ziel ist es, den Komplex zu einem möglichst hohen Preis zu verkaufen und vom Erlös möglichst wenig für Infrastrukturmaßnahmen zu investieren.

Ein städtischer Rahmenplan gibt vor, wie dicht die Bebauung sein soll. Und dieser Plan sieht neben Wohnhäusern auch Grünflächen, eine Schule und ein Bürgerhaus vor. Die vorhandene Kindertagesstätte und 17 der 33 Häuser sollen erhalten bleiben. Die restlichen Häuser im nördlichen Teil könnten zu einem vertretbaren Aufwand nicht in Wohnraum umgewandelt und müssten abgerissen werden. Hier soll auch verdichtet werden, so dass es künftig 1.450 Wohnungen geben soll. Dreißig Prozent der Wohnungen sind für Sonderwohnformen (Integratives Wohnen, studentisches Wohnen, Wohnprojekte und Sozialwohnungen) vorgesehen. Der Rahmenplan macht auch  Vorgaben für eine Anbindung an den Öffentlichen Nahverkehr und den Bau von Verkehrswegen auf dem Gelände.

Verhandlungen ohne Transparenz

Dieser Rahmenplan scheint aber in den Verhandlungen ein Problem darzustellen. Die BImA fürchtet, der Gewinn aus dem Verkauf könne zu niedrig sein, wenn daraus auch noch die notwendigen Investitionen in die geplante Infrastruktur finanziert werden müssen. Ihr Ziel ist es aber, das Gelände mit einem möglichst hohen Gewinn zu veräußern.  Sie will das Gebiet als bereits zum Wohnen genutztes Gebiet ausgewiesen sehen, da so der Bodenrichtwert höher angesetzt werden kann.Dies ist wohl eine der wichtigsten Fragen, um die es in den Verhandlungen zwischen der Stadt Darmstadt und der BImA geht. Sie dauern seit fünf Jahren an und ein Ergebnis ist nicht in Sicht. Nicht einmal eine Zwischenlösung für Student_innen konnte umgesetzt werden. Und als das Thema im Sommer dieses Jahres erneut  auf den Tisch kam, wurde – auch für Laien keineswegs überraschend – festgestellt, dass die Wasserleitungen nach fünf Jahren Leerstand bei abgestelltem Wasser marode sind.

Der Interessengegensatz bezüglich der Investitionskosten wird auch von der Stadt als Ursache der schleppenden Verhandlungen genannt. Als Ziel der Stadt bei den Gesprächen gibt die Planungs- und Baudezernentin Brigitte Lindscheid an,  „bezahlbaren Wohnraum in Darmstadt zu schaffen“. In einer Stellungnahme an „siehsmaso“ teilt sie mit: „Die Stadt versucht deshalb, die inhaltlichen Ziele der Rahmenplanung als Vorbedingung für den Verkauf der Konversionsflächen durch die BImA vertraglich zu verankern. Mit einfachen Mitteln ist dieses Ziel jedoch nicht erreichbar.“ (Unterstreichung durch den Verfasser).Interessierte Beobachter_innen finden es aber gerade deshalb ärgerlich, dass aus diesen Verhandlungen nichts nach außen dringt. Gerade weil die BImA hier handfeste Interessen vertritt, wäre es nach ihrer Ansicht notwendig, die Verhandlungspositionen öffentlich zu machen, um politisch einwirken zu können. Georg Hang, der für die Wählerinitiative UFFBASSE im Startparlament sitzt, fordert daher, „beide Seiten, die Stadt und die BImA müssen ihre Verhandlungspositionen öffentlich darlegen und rechtfertigen, da sie im Auftrag der Bürger agieren." Es ist zu befürchten, dass die BImA die Lincoln-Siedlung an den meist bietenden Investor verkaufen will. Dies hätte jedoch den Bau von teuer zu vermietenden oder zu verkaufenden Wohnungen zur Folge, da diese Anleger ihre hohen Kapitalanlagen auch ordentlich verzinst haben wollen. Dies zu verhindern ist ein Ziel des „Bündnisses für bezahlbares Wohnen“, zu dem sich der Darmstädter DGB, der Mieterbund und die ASten der Technischen Universität und der Hochschule Darmstadt zusammengeschlossen haben. Das Bündnis fordert in einem Schreiben an Verkehrsminister Ramsauer, die BImA müsse in ihrer Politik auch soziale Kriterien berücksichtigen und müsse Abstand nehmen von ihrem Ziel, die Grundstücke nur meistbietend zu verkaufen.  Nur so sei die im Rahmenplan vorgesehene Sondernutzung für sozial geförderte und studentische Wohnungen umsetzbar. Das Bündnis fordert außerdem den Bau „von weiteren 30 Prozent besonders preiswerter Wohnungen“.

Wenn die Stadt Darmstadt die Haltung der BImA in den Verhandlungen öffentlich machen würde, wäre es möglich dies politisch zu nutzen und Druck auf die BImA auszuüben“, erklärt Margit Heilmann, Geschäftsführerin des Darmstädter Mieterbunds. Sie bedauert es, dass die Standpunkte in den Verhandlungen nicht öffentlich gemacht werden. In einer Presseerklärung  zur Situation der Lincoln-Siedlung fragt der Mieterbund unter anderem ,  „ob es überhaupt Verhandlungen mit der BImA gibt, die ihren Namen verdienen oder ob schlichtweg auf Hinhaltetaktik und Aussitzen gebaut wird.“ Diese Erklärung genügte Oberbürgermeister Partsch, um am 25.8.2013 am „Tag der Vereine“ im Darmstadtium beim Anblick des Mieterbundstandes die Fassung zu verlieren. Lautstark ging er die Vertreterinnen des Mieterbundes an. Er betonte, mit allen beteiligten Gruppen einvernehmlich, gut und konstruktiv zusammenzuarbeiten und verwies auf die Wohngruppen und die Parlamentsfraktionen, die regelmäßig und ausführlich über den Stand der Verhandlungen informiert seien. Diese Sicht können allerdings nicht alle Stadtverordneten teilen. Martina Hübscher-Paul (Linksfraktion) sagt, nicht einmal im „Lenkungskreis Konversion“ seien brauchbare Informationen erhältlich, obwohl er eigentlich dafür gedacht ist, die Mitglieder auf dem Laufenden zu halten. „Der Lenkungskreis hat seit der letzten Kommunalwahl etwa 4 mal getagt - an Informationen gab es nichts Erhellendes, es ist noch immer der Stand von vor gut 3 Jahren. Stellt man Fragen in diesem Gremium oder auch im Umwelt- oder Bauausschuss werden diese nur ausweichend beantwortet.“

Nachdem eine für Juni vorgesehene Bürgerversammlung kurzerhand abgesagt wurde, lädt die Stadt nun für den 2. Oktober zu einer „Bürgerversammlung Konversion“ ein. Es ist zu hoffen, dass es hier endlich handfeste Informationen gibt und ein Fortschritt zu vermelden ist. Solange die vorgesehenen Wohnungen nämlich nicht bezogen werden können, wird die Wohnungsknappheit weiter steigen, und die Immobilieneigner können dies nutzen, um die Mieten weiterhin ansteigen zu lassen.

 

Bereits erschienene Artikel zum Thema Wohnen:

Lincoln-Siedlung: Leerstand ist Verschwendung

Konversionsflächen: Soziale Kriterien berücksichtigen

Beginn einer Mieterbewegung?

Reinhard Raika
12.09.2013