Schöne neue Bürowelten

T-Systems will in Darmstadt neue Formen der Arbeitsplatzgestaltung testen

Für Beschäftigte von T-Systems wird auf dem Telekom-Gelände ein neus Gebäude gebaut. Hier will das Unternehmen eine "Flexible Nutzung" von Arbeitsplätzen testen. Die Beschäftigten sollen keinen festen Arbeitsplatz mehr haben. Der nachfolgende Artikel der verdi-Betriebsgruppe T-Systems in Darmstadt gibt einen Einblick in "schöne neue Bürowelten".

 

“Desk Sharing” ist die flexible, wechselnde Nutzung von Arbeitsplätzen durch mehrere Beschäftigte. Das bedeutet, dass täglich beim Beenden der Arbeit der Arbeitsplatz leer geräumt und für die Nutzung durch Andere freigegeben werden muss.

Im Zusammenhang mit Desk Sharing bringt der Arbetgeber immer wieder auch andere Begriffe auf, wie z.B. “Future Workplace”, “Smart Working”, “Activity based working”. Schild IRSDiese Aufzählung ist nicht vollständig und bisweilen hat man den Eindruck, dass wöchentlich neue Worthülsen dazu erfunden werden. Bei unseren Versuchen zur Erforschung der jeweiligen Begriffsbedeutungen kamen wir bisher zu folgenden nicht abschließenden Ergebnissen: “Future Workplace” ist die Gestaltung von Büroräumen mit einem zu Desk Sharing besonders gut passenden Mobiliar. Da gibt es dann z.B. kleine Telefonzellen für Telkos, nebeneinander aufgereiht wie Hühner auf der Stange, kleine Besprechungsräume mit Glaswänden, kleine offene Besprechungs-Nischen ohne Wände, Rückzugsräume mit Glaswänden, damit einem beim Rückzug jeder zuschauen kann (“warum braucht der jetzt einen Rückzugsraum? Muss ich vielleicht nicht konzentriert arbeiten?”) und vieles Ähnliches mehr.

Mit “Smart Working” ist noch ein weiterer Schritt verbunden: Man wechselt die Arbeitsumgebung, in Abhängigkeit von der Art der Tätigkeit, die man gerade ausübt: Zur Telko verlässt man seinen Arbeitsplatz und begibt sich in eine der halboffenen Telefonzellen auf der Hühnerleiter, zur Besprechung begibt man sich in einen der offenen oder gläsernen Besprechungs-Bereiche, usw.

Dieses häufige Wechseln des Arbeitsplatzes in Abhängigkeit von der jeweiligen Tätigkeit ist offenbar mit “Activity Based Working” gemeint. Der Beschäftigte sucht sich zu jeder neuen Arbeitssituation (Telko, hochkonzentriert, unkonzentriert…) einen neuen Arbeitsplatz. Man fragt sich, wann es eigentlich mal vorkam, dass man “unkonzentriert” gearbeitet hat. Die Erfahrung der Beschäftigten ist, dass man andauernd hoch konzentriert arbeiten muss.

Die Ziele des Arbeitgebers liegen nicht nur bei der geplanten Büroflächeneinsparung von 30% und der damit verbundenen Kostenreduzierung. Durch “Future Workplace”  und/oder “Smart Working” werden unsere Arbeitsplätze nicht mehr wie bisher Teil unseres Lebensraums sein, in  dem wir uns persönlich einrichten und stabile soziale Kontakte mit unseren Kolleginnen und Kollegen knüpfen. Wir werden bloß ständiger Gast des Arbeitgebers sein, der durch ein Bürogebäude vagabundiert. Wir sind dann nicht mehr Kollege Peter Müller der neben Kollegin Simone Schmidt im Raum 1C201 sitzt, sondern nur die Human Ressource 56472 die am 25.11.2014 den Future Workplace 6374 belegt. Solidarität unter den Beschäftigten, die in den meisten Fällen das Ergebnis einer sozialen Vertrautheit ist, wird bereits im Keim erstickt. Sowohl der Zugang von Betriebsräten als auch von Gewerkschaftsvertretern zu den Beschäftigten wird erschwert werden und damit die Kontrolle der Einhaltung von gesetzlichen Regelungen, Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen.

Nachdem bisher bei T-Systems diese Arbeitsformen in München und Frankfurt im überschaubaren Rahmen und auf der Basis der Freiwilligkeit pilotiert wurden, möchte der Arbeitgeber mit dem Neubau in der Ida-Rhodes-Straße diese Arbeitsformen in breiter Front einführen. Die T-Systems Beschäftigten, die bisher in der Otto-Röhm-, Goebel- und Mina-Rees-Straße arbeiteten, sollen in dem gerade im Bau befindlichen Gebäude keinenBaustelle IRS persönlichen Arbeitsplatz mehr erhalten. Statt uns ein konzentrationsförderndes Arbeitsumfeld zur Verfügung zu stellen, sollen wir uns in Zukunft zusätzlich zu den schwierigen Arbeitsaufgaben auch noch mit Herumlaufen auf der Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz und mit täglichem Aufräumen des Arbeitsplatzes (“clean desk”, “clear desk”) beschäftigen.

Diese Auffassung der Arbeitgeberseite offenbart ein seltsames Unverständnis unserer tatsächlichen täglichen  Arbeitsweise: In Wahrheit arbeiten wir längst hoch-dynamisch und zwar zum Beispiel beim geduldigen Abarbeiten der Dutzenden e-mails, die täglich reinkommen,  bei unserer anspruchvollen und schwierigen Projektarbeit, beim Versuch, die “Token error” Meldung beim Drucken mittels “Print-Service” zu vermeiden, dann noch in diversen Telkos oder webex Konferenzen, danach bei einem i60 webinar und schließlich noch in einem Präsenzmeeting und, und, und… Es ist gerade diese von uns längst praktizierte hoch-dynamische Arbeitsweise, warum wir eine konzentrationsfördernde Arbeitsumgebung dringend brauchen. Keinesfalls brauchen wir noch eine weitere “Dynamisierung” in Gestalt von “Rollcontainer packen” und auf der Suche nach einem freien Arbeitsplatz durch die Büros rollen!

Wir wehren uns nicht dagegen, dass Kolleginnen und Kollegen die aufgrund ihrer Tätigkeit (z.B. als Berater oder Vertriebler) weitgehend außer Haus arbeiten, sich Arbeitsplätze teilen. Vor allem können mit Desk-Sharing in Verbindung mit alternierender Teleheimarbeit soziale Härten der von der Standortschließung betroffenen Beschäftigten abgemildert werden. Aber ein Bürokonzept, dass uns an unserem Arbeitsplatz entmenschlicht, lehnen wir entschieden ab.

verdi-Betriebsgruppe T-Systems
20.12.2013
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