Gräfenhausen 2.0

Fernfahrer erzielen Teilerfolg

An der Raststätte Gräfenhausen hatten sich im Frühjahr dieses Jahres etwa 60 Fahrer der polnischen Spedition Mazur getroffen, um in einem sechswöchigen Streik erfolgreich die Zahlung von Löhnen durchzusetzen, die ihnen teilweise schon mehrere Monate nicht ausgezahlt wurden. (siehe Artikel in siehsmaso vom 26.4.2023)

Anna Weirich vom Projekt „Faire Mobilität schrieb nach dem ersten Streik: „Das hat vielen anderen Fahrenden vor Augen geführt, dass es sich lohnen kann, sich zusammenzuschließen, um für die eigenen Rechte einzutreten. Ob dieses Beispiel über Gräfenhausen und die Mazur-Gruppe hinaus zu einem Modell für Fahrer und Fahrerinnen auf Europas Straßen wird, wissen wir erst, wenn der erste Protest von Fahrern anderer Speditionen auf einem anderen europäischen Parkplatz beginnt.“ (Homepage von „Internationale Politik und Gesellschaft“ bei der Friedrich Ebert Stiftung)

Weitere Proteste gab es danach sehr schnell. Aber nicht bei anderen Speditionen und nicht auf anderen europäischen Parkplätzen. Es waren etwa zwanzig Fahrer der gleichen Spedition Mazur, die sich auf demselben Rastplatz in Gräfenhausen trafen, um wie ihre Kollegen im März die Auszahlung ausstehender Löhne zu fordern. Gräfenhausen scheint für viele Fahrer das Symbol eines erfolgreichen Kampfes zu sein.

Der neue Streik zeigt, dass Mazur nichts an seinem Geschäftsmodell geändert hat. Das Arbeitsverhältnis der Fahrer kann weiterhin als Scheinselbständigkeit bezeichnet werden, es werde keine Sozialversicherungen bezahlt, auf die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften wird nicht geachtet und Schäden am LKW müssen von den Fahrern selbst bezahlt werden. Und es sind weiterhin höchst „seriöse“ deutsche Unternehmen, die Leistungen dieser Spedition direkt oder indirekt in Anspruch nehmen. Und die zuständigen Behörden haben offenbar nicht einmal bei diesem „schwarzen Schaf“ die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften geprüft.

Geldautomat Gräfenhausen?

Und Mazur schien aus dem ersten Streik gelernt zu haben:  Es wurden individuelle Verhandlungen mit den Streikenden geführt und sie erhielten schnell ihr Geld. Gräfenhausen sei mittlerweile wie ein Bankautomat bemerkte hierzu Edwin Atema von der europäischen Transportarbeitergewerkschaft, der auch schon im Frühjahr die Verhandlungen mit Mazur führte.

Diese Zahlungsbereitschaft hatte sich unter den Fahrern schnell herumgesprochen und die Zahl der LKWs erhöhte sich täglich. Letztlich waren in der Spitze etwa 160 Fahrer auf der Raststätte und forderten ausstehende Löhne. Der Parkplatz wurde für andere LKWs gesperrt und auch auf der gegenüberliegenden Raststätte Gräfenhausen Ost sammelten sich LKWs der Spedition Mazur. Ihre Forderungen beliefen sich auf insgesamt 543.000 Euro.

Lange Hängepartie

Doch daraufhin änderte sich die Haltung des Unternehmers: Er war zu keinen weiteren Zahlungen bereit und stellte stattdessen Strafanzeige gegen jeden einzelnen Fahrer wegen Unterschlagung und Nötigung. Es begann eine lange Phase des Stillstands. Für die Streikenden war es eine zermürbende Zeit. Die Versorgung von jetzt 160 Streikenden an zwei Raststätten war für den Kreis der Unterstützenden anspruchsvoller als beim ersten Streik. Gab es im ersten Streik noch eine kämpferische und optimistische Stimmung, so machten sich jetzt Resignation und Depression breit. Die Sorge um die Familien zuhause, denen monatelang kein Geld überwiesen werden konnte, wurde immer dringlicher. Erkrankungen, die ärztlich behandelt werden mussten, nahmen zu, und die Betroffenen mussten nach Mainz in eine vom Sozialmediziner Wolfgang Trabert betriebene Sozialklinik oder zu anderen Ärzten transportiert werden. Nach und nach verließen Fahrer die Raststätte und hofften, bei Rückgabe des Lasters zumindest einen Teil des geforderten Geldes zu erhalten. (meistens mit unbefriedigtem Ergebnis.)

Als noch etwa 90 Streikende vor Ort waren, hatte die Hoffnungslosigkeit ein solches Ausmaß angenommen, dass dreißig Fahrer trotz der Warnungen der Beratergruppe einen Hungerstreik begannen. Nach einer Woche wurde der Hungerstreik beendet, da es ernsthafte Warnungen von Medizinern gab.

Dazu beigetragen hat auch der Besuch eines Vertreters des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), der Unterstützung versprach. Diese Behörde ist unter anderem für die Einhaltung des Lieferkettengesetzes zuständig. Er versprach zu prüfen, ob deutsche Unternehmen gegen das Lieferkettengesetz verstoßen hätten. Dabei geht es neben der Bezahlung unter anderem auch um ausreichende Pausen.

Seriöse“ Firmen profitieren von unhaltbaren Zuständen

Bereits Mitte August wurden auf einer Pressekonferenz auf der Raststätte die Namen von Firmen bekannt gegeben, die auch nach dem Streik vom Frühjahr und den offensichtlichen Verstößen gegen das Lieferkettengesetz die Transportdienste von Mazur direkt oder indirekt in Anspruch nehmen. Doch gab es auch nach der Pressekonferenz keine Bereitschaft der Zusammenarbeit. Dies wurde nicht gemacht, da es wohl doch Hoffnungen auf Verhandlungen gab. Bereitschaft zur Zusammenarbeit gab es bei den Unternehmen erst nach dem Auftreten des BAFA und der Ankündigung, die mit Mazur zusammenarbeitenden Unternehmen zu prüfen.

Die Angst vor Bußgeldern und schlechter Publicity bewog dann wohl einige Unternehmen, Gelder an die verbliebenden etwa 80 Fahrer zu zahlen. Ob sie zusätzlich noch offene Rechnungen an Mazur begleichen, bleibt unklar.. Die Presseerklärung des DGB ist in dieser Hinsicht vage und das ist wohl auch Bestandteil der Einigung. Mazur stellte am Tag nach der Einigung klar, keinen Zahlungen an die Fahrer zugestimmt zu haben. So bestätigt sich, dass es vor allem Unternehmen aus der Lieferkette sind, die zu Zahlungen bereit waren. Bezahlt hat wohl auch der neue Eigentümer von Impera. Impera gehörte zum Firmenkonsortium Mazurs, wurde aber kürzlich von einem armenischen Spediteur übernommen. Unklar ist auch die Höhe des Betrags, den die Fahrer erhalten. Der Jubel bei der Bekanntgabe des Ergebnisses und die Freude bei der Entgegennahme des Schreibens mit der Mitteilung der zu erwartenden Zahlung zeigt aber die Zufriedenheit und die Erleichterung der Streikenden. Mazur konnte immerhin bewegt werden, die Anzeigen gegen die Fahrer wegen Unterschlagung und Erpressung zurückzuziehen.

Die beim Streik maßgeblichen Leute (Atema, DGB, Faire Mobilität) konzentrierten sich voll und ganz auf Verhandlungen (zuerst mit Mazur und dann mit den Unternehmen der Lieferkette) und auf juristische Fragen. Damit waren sie sicher auch vollauf beschäftigt. Solidarische Unterstützung gab es darüber hinaus von Gewerkschaftsmitgliedern, die die Streikenden mit Lebensmitteln versorgten, zu ärztlichen Untersuchungen fuhren oder in ähnlicher Weise halfen. Zu kurz kam dabei eine Politisierung des Streiks durch unterstützende Aktionen und Informationsveranstaltungen.Von der Verhandlungsgruppe gab es hierzu keine Initiativen, aber auch von gewerkschaftlichen Gremien gab es keine Versuche in diese Richtung.

Die Einigung

Diese Einigung kann als Teilerfolg gewertet werden. Er erforderte große Opfer und psychische Belastungen, die viele Beteiligte nicht aushielten und den Streik abbrachen. Wichtig für das Ergebnis war das enorme Engagement der Verhandlungsgruppe und das Engagement vieler solidarischer Menschen, vor allem aus verschiedenen Einzelgewerkschaften und aus dem kirchlichen Bereich. Ohne die Intervention des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle wäre die Hängepartie sicher noch weiter gegangen. Deren Eingreifen ist aber nur dem Druck zu verdanken, der vom Streik ausging. Es ist kaum zu erwarten, dass es jetzt einfach so strengere flächendeckende Kontrollen entlang der Lieferketten gibt. Dazu fehlen der politische Wille und die personellen Kapazitäten. Wichtig ist es daher seitens der Gewerkschaften den Druck zu erhöhen.

Der Appell an das Verantwortungsbewusstsein der Unternehmen wird nicht helfen, die Unternehmen zum Umdenken zu bewegen, solange sie keine negativen Konsequenzen zu fürchten haben. Die Verantwortlichen in diesen Unternehmen sind nicht den Fahrern und auch nicht sozialen Ideen verpflichtet, sondern einzig und allein den Interessen der Besitzenden. Die Namen von Firmen, die zwielichtige Speditionen beauftragen, müssen veröffentlicht werden, damit Druck auf sie ausgeübt werden kann. Streiks der Fernfahrerinnen und Fernfahrer werden auch weiterhin nötig sein und es bleibt abzuwarten, ob Gräfenhausen auch nach dem zweiten Streik für sie ein Modell sein kann.

Reinhard Raika
05.10.2023
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