Kampf gegen Tarifflucht

Darmstädter Echo, Frankfurter Rundschau, Akasol: Auseinandersetzungen in drei südhessischen Unternehmen
Reinhard Raika

Die Zahl der Lohnabhängigen, deren Arbeitsverhältnis durch einen Tarifvertrag geregelt wird, nimmt kontinuierlich ab. 1998 waren noch 68 Prozent aller Beschäftigten in Betrieben mit einem Branchentarif tätig. Heute sind es nur noch 41 Prozent. Dazu kommen zehn Prozent mit einem Firmentarif, der gegenüber dem Flächentarif in der Regel deutliche Abweichungen nach unten ausweist.( https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-5/tarifbindung-arbeitnehmer.html ) Der Flächentarif stellt für dir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Lohnuntergrenze dar und soll garantieren, dass sich kein Unternehmen durch Lohndumping einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Unternehmen verschafft.

Gerade letzteres wird aber immer häufiger versucht. Durch Austritt aus dem Arbeitgeberverband oder durch eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung (OT). Darum gehen aktuell die Konflikte in zwei südhessischen Zeitungsredaktionen: Dem Darmstädter Echo und der Frankfurter Rundschau.

Erfreulich ist, dass es auch erfolgreiche Kämpfe gegen Tarifflucht gibt, wie das Beispiel des Unternehmens Akasol in Darmstadt zeigt.

Frankfurter Rundschau: Entlassungen nach Warnstreik

Die Frankfurter Rundschau versteht sich als linksliberal und wird wegen ihrer Tradition auch heute noch von vielen Gewerkschaftsmitgliedern gelesen. Weitgehend unbekannt dürften ihnen die Zustände sein, die im Unternehmen selbst herrschen und diesem Ruf widersprechen.

Die Frankfurter Rundschau war schon vor zehn Jahren aus dem Flächentarif ausgestiegen. Die Gehälter der Angestellten liegen heute oft mehrere hundert Euro unter dem Tarif. Die Forderung aus der Belegschaft nach einer Rückkehr in den Flächentarif wurden daher immer lauter. Am 17.7 begannen die Tarifverhandlungen für die über 80 Beschäftigten. Die Gewerkschaften ver.di und DJV fordern eine Rückkehr in den Flächentarifvertrag für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen. Unterstützt wurden sie dabei von einem „Aktivenausschuss“ der in einem Offenen Brief an die Herausgeber die Situation in der Redaktion darstellte.

Geschäftsführer Max Rempel teilte der Tarifkommission mit, dass er keine Basis für einen Tarifvertrag sehe. Stattdessen wurden die Gehälter für einen Teil der Beschäftigten der FR-Redaktion GmbH einseitig angepasst. Die Kolleginnen und Kollegen der Frankfurter Rundschau GmbH gehen leer aus. (Pressemitteilung ver.di vom 22.8.2023)

Vorgesehen ist für die betroffenen Kolleginnen und Kollegen eine Erhöhung der Gehälter um 300 Euro ab dem 1.10.2023. Außerdem soll es ab dem 1.7.2025 (!) eine Erhöhung um drei Prozent geben. Damit liegen die Gehälter immer noch deutlich unter denen des Flächentarifvertrags und viele Beschäftigte sind damit nicht einverstanden. Ver.di und DJV riefen deshalb für den 1.12.2023 zu einem Warnstreik auf, an dem sich 50 Redaktionsmitglieder beteiligten.

Die Ippen-Gruppe als Herausgeber der FR behauptet, für weitere Lohnerhöhungen sei kein Geld vorhanden. Das wird von ver.di allerdings bezweifelt. Die Gewerkschaften können die Wirtschaftszahlen nicht einsehen.

Knapp eine Woche nach dem Warnstreik wurde zwei Redakteurinnen und einem Redakteur während der Probezeit gekündigt. Projekte, die sie betreuten, wie z.B. der Klima-Podcast „Kipp und klar“ sollen eingestellt werden. Andere Kolleginnen und Kollegen bekommen einen Auflösungsvertrag auf den Tisch gelegt. Wer streikt, fliegt, jedenfalls einige davon sollen gehen. (DJV-Blog vom 8.12)  Die Gekündigten hatten sich zwar nicht am Warnstreik beteiligt, dennoch wird das Verhalten der Geschäftsführung als Einschüchterungsversuch und als Angriff auf das Streikrecht gewertet.

Am 22. Dezember erhielten die Rundschau-Beschäftigten Solidarität von den Streikenden des Einzelhandels. Diese hatten einen Aktionstag, um ihren Forderungen nach Lohnerhöhungen Nachdruck zu verleihen. Ein Demonstrationszug in Frankfurt machte Halt an der Hauptverwaltung der „Frankfurter Rundschau“, um gegen das Verhalten der Geschäftsführung zu protestieren.

Darmstädter Echo


Das Darmstädter Echo ist der letzte hessische Zeitungsverlag, für den es eine Tarifbindung gibt. Doch damit soll bald Schluss sein. Wir geben hierzu eine ver.di-Presseerklärung auszugsweise wider:

„Am gestrigen Montag hat die Geschäftsführung der Echo Zeitungen GmbH bekannt gegeben, dass der Verlag eine sogenannte „OT-Mitgliedschaft“ im Arbeitgeberverband beantragt hat. Das bedeutet, dass ab Wirksamwerden bei zukünftigen tariflichen Gehaltserhöhungen die Betroffenen leer ausgehen sollen. Bereits in den vergangenen Jahren erfolgten Einstellungen von Redakteurinnen und Redakteuren nur noch in einer tariflosen Gesellschaft.
(…)
Auch für die kaufmännischen Angestellten bedeutet die Tarifflucht, dass sie an künftigen Tariferhöhungen nicht partizipieren werden. Die hohe Inflation der vergangenen Jahre hat ohnehin schon zu Kaufkraftverlusten geführt, nun drohen weitere empfindliche Einschnitte.

„Die Geschäftsführung des Darmstädter Echo setzt mit diesem Schritt ihre skandalöse Tradition der Flucht aus der Tarifbindung auf Kosten der Beschäftigten fort“, kritisierte der zuständige Landesfachbereichsleiter Volker Koehnen. Bereits 2010 wurde die bis dahin tarifgebundene Druckerei geschlossen und „auf einer grünen Wiese“ eine neue Druckerei ohne Tarifbindung gebaut. „Wir fordern die Geschäftsführung unmissverständlich auf, den Irrweg der Tarifflucht zu verlassen und die getroffene Entscheidung zu revidieren“, so Koehnen abschließend.“ (Pressemitteilung ver.di vom 12.12.2023).

Akasol Bog Warner

Akasol ist ein relativ junges Unternehmen. Es ging aus einer studentischen Forschungsgruppe der TU Darmstadt hervor, die rein solar betriebene Fahrzeuge herstellte. 2008 gründeten Mitglieder des Vereins zusammen mit der Schulz Group die Akasol Engineering GmbH in Darmstadt. Ziel war die Entwicklung und Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien für Elektrofahrzeuge. 2010 konnten die ersten Batterien ausgeliefert werden. Seit 2021 gehört Akasol zum US-amerikanischen Automobilzulieferer Bog Warner. An den Standorten Darmstadt und Langen sind mittlerweile 700 Menschen beschäftigt.

Die Übernahme durch Bog Warner hatte bei vielen Beschäftigten Sorgen ausgelöst und mit Hilfe der IG Metall konnte Ende 2021 ein Betriebsrat gegründet werden. „Bezahlung weit unter Tarif und Arbeitszeiten weit darüber, extremer Arbeitsdruck, fehlende Sicherheit und prekäre Beschäftigung.“ So beschreibt die IG Metall die Arbeitsbedingungen im Betrieb. Laut IGM liegt das Gehaltsniveau auf das Jahr gerechnet etwa 20% unter dem Flächentarifvertrag, die Wochenarbeitszeit beträgt 40h anstatt 35h die Woche. Das dürfte in der Folgezeit auch der Grund für die vielen Eintritte in die Gewerkschaft gewesen sein. Die betrieblich Aktiven fühlten sich stark genug einen Tarifvertrag zu fordern. Die Mitglieder hatten sich bereits im März betriebsöffentlich auf einer Betriebsversammlung dafür ausgesprochen, in Tarifverhandlungen einzusteigen.

Die IG Metall forderte das Unternehmen zu Tarifverhandlungen auf, bei denen es anfangs keinerlei Zugeständnisse gab. Im September und Oktober gab es Warnstreiks für die Forderung nach einer Übernahme des Flächentarifs für die Metallindustrie )Da das Unternehmen immer noch nicht zu substanziellen Zugeständnissen bereit war, wurde im Dezember eine Urabstimmung durchgeführt und einhundert Prozent der Gewerkschaftsmitglieder bekundeten ihre Bereitschaft zu unbefristeten Streiks. Der Geschäftsführung wurde mitgeteilt, dass ab 9. Dezember jederzeit mit Streiks zu rechnen sei. Kurz vor Beginn des unbefristeten Streiks am Samstag, den 8. Dezember 2023 konnte dann ein Verhandlungsergebnis erreicht werden. Erreicht werden konnte eine Heranführung an 100% Flächentarifvertrag Hessen bis 2028.

„Die Beschäftigten erhalten bis 2028 im Schnitt mindestens dreißig Prozent mehr für ihre Arbeit“, so Max Zeiher, einer der Verhandlungsführer der IG Metall Darmstadt. „Ab nächstem Jahr sind mehrere Sonderzahlungen vereinbart, die eine durchschnittliche Lohnerhöhung von fast 8 Prozent im Jahr 2024 ausmachen und bereits ab 2026 wird die Arbeitszeit von jetzt 40 Stunden pro Woche auf 35 gesenkt“, so Zeiher weiter.

Ist die Übergangszeit mit vier Jahren auch sehr lange, kann der Abschluss angesichts des Trends zur Tarifflucht doch als Erfolg gewertet werden.

27.12.2023