"Remonstration" - Wer nicht näher mit dem Beamtenrecht vertraut ist, dem wird dieser Begriff wenig sagen. Es ist eine Möglichkeit für Beamt*innen gegen eine Weisung von vorgesetzter Stelle einen Einwand zu erheben, wenn diese Weisung nicht rechtmäßig erscheint. Die Beamt*innen können sich durch dieses Vorgehen vor Disziplinarverfahren oder Schadensersatzansprüchen schützen, wenn später die Rechtswidrigkeit der Anordnung festgestellt wird.
In der Praxis wird das Mittel der Remonstration sehr selten genutzt. Aber die Anordnung von Kultusminister Lorz, die Grundschulen ab dem 22. Juni für den uneingeschränkten Regelbetrieb zu öffnen, könnte die Zahl der Remonstrationen stark ansteigen lassen.Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) protestierte schon gleich nach Bekanntwerden der Pläne, dass die Entscheidung "vorbei am Hauptpersonalrat, vorbei an den Eltern, vorbei an den Lehrkräften" getroffen worden sei. Mitbestimmung und- gestaltung würden bewusst unterwandert.
Klaus Armbruster, Vorsitzender der GEW Darmstadt, schreibt in einer Email an die Mitglieder seiner Gewerkschaft:
"Die Unzufriedenheit bzw. Empörung an den betroffenen Schulen ist offensichtlich sehr groß. Nur so kann ich mir die Tatsache erklären, dass in den letzten Tagen in unserer Rechtsberatung auffallend oft die Frage aufkam, welche Vorgehensweise bzgl. welche formale/inhaltliche Formulierung man bei einer Remonstration zu beachten habe.
Wir können diesen Schritt nur empfehlen, denn es ist an der Zeit, dem Kultusminsiter endlich die Rote Karte zu zeigen."
Folgende Punkte rufen bei den Lehrkräften Unmut und Verunsicherung hervor:
- Bei vollbesetzten Klassen (bisher wurde abwechselnd immer nur eine Hälfte der Klasse unterrichtet) ist es nicht möglich, die üblichen Abstandsregeln einzuhalten. Sie sollen daher in den Klassenräumen nicht gelten, obwohl sie sonst überall bestehen bleiben.Das untergräbt auch die Autorität der Leher*innen, die bisher auf die Einhaltung der Regeln achten mussten. Auch die Maskenpflicht entfällt.
- Das Erkrankungsrisiko auch für Lehrkräfte steigt.
- In einem Erlass vom 7. Mai zur Öffnung der Grundschulen hat das Kultusministerium ausdrücklich geschrieben, dass alle Regelungen einschließlich der Vorgaben zu Gruppengrößen und Abstandsregeln „zunächst bis zu den Sommerferien Bestand haben“.Diese Zusage wurde nicht eingehalten und das bedeutet wiederholten hohen organisatorischen Aufwand.
- Wenn Eltern ihre Kinder zu Hause lassen, soll für diese zusätzlich zum Präsenzunterricht auch das Homeschooling fortgeführt werden, das ebenfalls vor-und nachbereitet werden muss. Das bedeutet eine weitere Doppelbelastung!
- An den weiterführenden Schulen wird der eingeschränkte Präsenzunterricht mindestens noch bis zu den Sommerferien fortgeführt. Dort gebe es nicht dieselbe Betreuungsproblematik wie an den Grundschulen, sagt Kultusminister Lorz. Auch der digitale Fernunterricht lasse sich für die älteren Schüler einfacher umsetzen. Die Lehrer*innen an den Grundschulen sehen hierin eine deutliche Ungleichbehandlung, die noch dazu die am schlechtesten bezahlte Gruppe von Lehrer*innen betrifft
Die GEW und der Hauptpersonalrat sehen die Remonstration nicht nur als das Recht der Beamt*innen, sondern als eine Pflicht, da sie für die Rechtmäßigkeit ihrer dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung tragen. Im Beamtenstatusgesetz heißt es : "Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen haben Beamtinnen und Beamte unverzüglich auf dem Dienstweg geltend zu machen."
Eine Remonstration entbindet die Beamt*innen nicht von der Pflicht, die Anordnung auszuführen. Die vorgesetzte Stelle muss dann aber die Anordnung rechtlich begründen. Allerdings können sie dafür dann rechtlich nicht belangt werden. Zahlreiche Remonstrationen wären aber auch ein Protest gegen die selbstherrliche Entscheidung des Kultusministers.
Auch viele Eltern sind mit dem Erlass des Kultusministers unzufrieden und haben eine Petition dagegen auf den Weg gebracht: