Gestern Applaus – Heute vergessen?

Auch in Darmstadt Warnstreiks im Öffentlichen Dienst

Die diesjährige Tarifrunde im Öffentlichen Dienst könnte mehr werden als die üblichen Lohnverhandlungen mit einigen Warnstreiks und schnellem Abschluss. Dies liegt vor allem am Verhalten der Arbeitgeberseite. Die Gewerkschaften wollten die Tarifrunde wegen der angespannten Situation im Öffentlichen Dienst eigentlich gegen eine Einmalzahlung verschieben. Doch das lehnte der „Verband Kommunaler Arbeitgeber“ (VKA) ab. Seine Hoffnung: Die Beschäftigten werden mitten in der Pandemie nicht für ihre berechtigten Forderungen kämpfen. Das wäre die Chance, möglichst billig bei langer Laufzeit abzuschließen. Und deshalb laufen aktuell die Tarifverhandlungen für die rund 2,3 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen.

Die Gewerkschaften fordern eine Anhebung der Einkommen um 4, 8 Prozent, mindestens aber 150 Euro pro Monat, bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Die Bezahlung von Azubis und Praktikant*innen soll um 100 Euro pro Monat angehoben werden. Erwartet wird die Ost-West-Angleichung der Arbeitszeit. Darüber hinaus soll in den Tarifverhandlungen das Thema der Entlastung der Beschäftigten behandelt werden.

Aber die Arbeitgeber reagieren noch dreister: Sie wollten zwar verhandeln, aber auch nach zwei Verhandlungsrunden liegt bislang kein Angebot von Bund und Kommunen auf dem Tisch. So sieht die Wertschätzung für die für die Beschäftigten aus, die im Frühjahr während des Lockdowns noch als Held*innen gefeiert und von den Balkonen mit Beifall bedacht wurden.

Heute aber sollen dieselben Menschen bezahlen für den Corona-bedingten Steuerausfall und die Milliardenbeträge, mit denen der Staat Unternehmen subventionierte. Diese erhielten die Zahlungen selbst dann, wenn sie Massenentlassungen vornahmen.

Es geht in dieser Tarifrunde auch darum, wer für die Kosten der Rettungspakete aufkommen soll. Daher hat diese Tarifrunde im Kern eine gesellschaftliche Bedeutung. Der Bund und die Kommunen wollen die Politik fortsetzen, die es auch schon vor Corona gab: Lohnabhängige und sozial schwache Menschen sollen die Zeche bezahlen, damit die Gewinne der Unternehmen stimmen. Das Verhalten der Arbeitgeber in dieser Tarifrunde reiht sich ein in diese Strategie.

Das aber wollen sich die Beschäftigten nicht bieten lassen.

Warnstreiks mit hoher Beteiligung

Diese Woche rief ver.di zu Warnstreiks auf, um gegen die Haltung des Arbeitgeberverbands zu protestieren. Den Anfang machte am Dienstag (29.9.) die Gesellschaft für Schwerionenenforschung (GSI) in Wixhausen. Es war der erste Streik in diesem Betrieb.

Am Donnerstag (1.10.) wurden die Kolleg*innen der Stadt Darmstadt und der städtischen Unternehmen zum Arbeitskampf aufgerufen. Beeindruckend war eine Aktion an den städtischen Kliniken. Etwas über einhundert Menschen, darunter ca. 80 Beschäftigte des Klinikums beteiligten sich an einer Demonstration um und teilweise durch das Klinikgelände. Mit dabei auch sehr viele junge und sehr engagierte Beschäftigte der Klinik. An den Fenstern wurden sie von ihren Arbeitskolleg*innen winkend begrüßt. Etliche von ihnen hätten gerne mitgestreikt, wurden aber zum Notdienst eingeteilt. Franziska Pietsch, Gesundheits- und Krankenpflegerin und Mitglied der Streikleitung, weist in ihrer Rede auf den miserablen Zustand des Gesundheitswesens hin. In der Beteiligung kommt auch der wachsende Unmut des Krankenhauspersonals zum Ausdruck, die immer wieder berichteten, wie sehr sie am Limit arbeiten. Gesundheitswesens hin. Sie war mit der Aktion sehr zufrieden. Diese Aktion dürfte die Voraussetzung geschaffen haben, um beim nächsten Mal mit noch mehr Leuten in den Streik zu gehen.

Später gab es noch einen Flashmob auf dem Luisenplatz zum Thema „Pflege in Not“. Daran beteiligten sich auch Delegationen der Streikenden aus den städtischen Kitas, der EAD, des Nordbads, der Stadtverwaltung und des Vivariums. Aus allen Bereichen wurde von einer unerwartet hohen Beteiligung am Warnstreik berichtet.

Kein ökonomischer Druck – Politisierung erforderlich

Ein Blick auf die streikenden Betriebe zeigt aber auch, dass so kein ökonomischer Druck auf die Arbeitgeber aufgebaut werden kann. In der Vergangenheit waren es vor allem die Arbeitsniederlegungen an den Flughäfen, mit denen ein solcher Druck erzeugt werden konnte. Dort aber haben Streiks wegen des Einbruchs beim Flugverkehr nicht mehr die Auswirkung wie früher.

Umso notwendiger ist daher die Unterstützung aus anderen Bereichen. Dem steht zum Teil das Image des Öffentlichen Dienstes im Weg. Die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes gelten häufig als privilegiert, da sie einen sicheren Job hätten, quasi unkündbar seien. Die Einkommen im ÖD sind jedoch oft niedriger als bei vergleichbaren Jobs der Privatwirtschaft. Und der sichere Arbeitsplatz ist auch längst nicht mehr garantiert: Der Anteil von befristeten Arbeitsverhältnissen ist hier besonders hoch.

Diese Tarifauseinandersetzung geht nicht nur die unmittelbar Beteiligten an. Die Frage, wer die Kosten der Corona-Hilfspakete zahlt, wird in der nahen Zukunft die politische Diskussion bestimmen. Diese Tarifrunde ist Teil dieser Auseinandersetzung. Auch deshalb verdienen die Kolleg*innen des ÖD die Solidarität anderer Bereiche. Bei den Streiks in dieser Woche wurde diese Solidarität schon von attac Darmstadt und von ver.di-Mitgliedern der TUD und der Telekom gezeigt. Aber diesbezüglich ist noch Luft nach oben.

Reinhard Raika
02.10.2020