Hessischer Sozialbericht 2022

Steigende Ungleichheit in Hessen – „Spitzenplatz“ für Region Starkenburg

Der Ende letzten Jahres veröffentlichte neue Sozialbericht für Hessen weist beunruhigende Entwicklungen auf. Liegen in Hessen die durchschnittlichen Haushaltseinkommen etwa auf Bundesniveau, so hat sich aber die Einkommensungleichheit in Hessen überdurchschnittlich erhöht. Auf die unteren 50 % der Haushalte entfielen 2018 lediglich 3 % der Einkommen, gegenüber 4 % im Jahr 2013. Entsprechend stieg der Anteil der oberen zehn Prozent am Gesamteinkommen im selben Zeitraum von 23 % auf 26 % . Stärker noch stieg die Ungleichheit bei der Verteilung des Vermögens. Die unteren 50 % der Haushalte besaßen 2018 nur 6 % des Gesamtvermögens (2013 waren es noch 9 %), während die oberen 10 % einen Anteil von 49 % des Vermögens hielten – während es 2013 „nur“ 43 % waren. Der Gini-Koeffizient, der den Grad der Ungleichheit bei der Einkommensverteilung angibt, stieg von 0,61 im Jahr 2013 auf 0,67 im Jahr 2018 (die Skala reicht von 0 bis 1, selbst die anscheinend geringe Erhöhung ist deshalb erheblich). So stieg auch die Zahl der Einkommensmillionär*innen nur von 2016 auf 2017 in Hessen um 8,2 % von 1.964 auf 2.105.

Nicht erstaunlich ist deshalb, dass die Mindestsicherungsquote in Hessen von 8,4 % über dem Bundesdurchschnitt liegt. Auch bei der Quote der Bezieher*innen der Grundsicherung lag Hessen mit 4 % deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 3,2 %. Mit ausschlaggebend dürfte der starke Anstieg der Anteil der Teilzeitbeschäftigten in Hessen sein, der sich von 21,8 % im Jahr 2010 auf 29,1 % im Jahr 2020 erhöhte.

SchwARMstadt Darmstadt

Das Armutsrisiko stieg in den südlichen Gebieten Hessens überproportional an. Von 2010 auf 2020 stieg die Zahl der Menschen mit Armutsrisiko in der Region Starkenburg von 12,9 % auf 16,1 % an, in der Region Rhein-Main von 13,5 % auf 16,1 %. Die Anzahl der Bezieher*innen von Grundsicherung im Alter stieg im Zeitraum von 2010 bis 2020 besonders in den Städten an, so in Darmstadt von 5,7 % auf 6,2 %. Dies liegt zum großen Teil an den extrem hohen Mieten in Darmstadt. Mit eine Mietbelastungsquote von durchschnittlich 33,6 % (im Jahr 2018) ist Darmstadt eine der teuersten Städte Deutschlands, die durchschnittlich eine Mietbelastungsquote von 29,8 % für 2018 aufweisen. Sogar 21 % der Darmstädter Miethaushalte müssen mehr als 50 % ihres Einkommens für die Miete aufbringen. Das sind die negativen Seiten einer „Schwarmstadt“, die immer mehr Bewohner*innen anziehen und für Gutverdienende neuen - meist teuren - Wohnraum zur Verfügung stellen will und Wohnungen für Alteingesessene immer unbezahlbarer macht.

„ Besondere sozialpolitische Problemgruppen“

Der Hessische Sozialbericht benennt für diese negative Entwicklung „besondere sozialpolitische Problemgruppen“. Dazu zählt er „Frauen, Personen mit Migrationshintergrund, Ausländer*innen, ältere Personen, gering qualifizierte Personen, Alleinerziehende und Arbeitslose“ (s. 293). In einer gesonderten Stellungnahme von Verbänden (u. a. DGB, VDK, Sozialverbände und Kirchen) zu dem Hessischen Sozialbericht wird an vielen Stellen Kritik an der Art und Weise der Berichterstattung geübt. „Damit zusammenhängend wäre es wünschenswert gewesen, die strukturellen Ursachen der Armutslagen Alleinerziehender im Bericht noch prominenter herauszustellen; also einerseits Ursachen für das Armutsrisiko der gesamten Familie, anderseits auch Armutsrisiken für die alleinerziehenden Mütter (und Väter) selbst zu benennen. Als Stichworte seien hier nur Gender Pay Gap, Gender Care Gap, Gender Pension Gap genannt, die im Bericht nicht ausreichend diskutiert werden“ (s. 306).

„Ursachen und Zahlen für Armutslagen finden zwar Erwähnung, werden aber nicht genügend ursachenanalytisch hinterfragt. Alle Bemühungen zur Verbesserung der Lebenssituation von armutsbetroffenen Menschen müssen dabei berücksichtigen, dass viele problematische Aspekte in Teilen strukturell sind und deshalb nur gelöst werden können, wenn sich gesellschaftliche Systeme und Strukturen ändern. Aus unserer Sicht besteht hierbei kein Erkenntnis-, sondern ein Handlungs- bzw. Umsetzungsproblem. Das betrifft Maßnahmen im Bereich der Wohnungs-, Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Familienpolitik. Zur Unterstützung alleinerziehender Menschen, zur Überwindung skandalöser Armutslagen alleinerziehender Familien und zur Deckung von individuellen Bedarfen ist ein entsprechend vielfältiges Maßnahmenbündel erforderlich, das die Abstimmung und Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure, Organisationen, Verbände und politischer Entscheidungsebenen erforderlich macht“ (S. 314).

Auch die Darstellungen im Sozialbericht zu den überdurchschnittlich hohen Mietbelastungsquoten in Hessen sind ungenügend. Ausgeführt wird in dem Bericht, beinahe als Erfolg hervorgehoben, dass die Zahl der reinen Wohngeldhaushalte seit dem Jahr 2015 mit 25.897 Haushalten um gut 50 Prozent gestiegen ist. Doch wird nicht erwähnt, dass die Anzahl der Sozialwohnungen in Hessen in den letzten 20 Jahren auf ca. 80.000 halbiert worden ist. „Derzeit ist seitens des Landes nicht erkennbar, wie dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum entgegengewirkt wird. Gekoppelt mit den derzeitig steigenden Energiekosten kann das Wohnen für bestimmte Gruppen in die Armut führen“ (S. 30I), heißt es dazu in der Stellungnahme der Verbände.

In Darmstadt gibt es immerhin Bemühungen die Zahl der geförderten Wohnungen zu erhöhen. So stieg deren Zahl von 5.238 Wohnungen im Jahr 2019 auf 5.465 Ende 2022 an. Doch im Vergleich zu den 1987 geförderten 15.000 Wohnungen ist dies trotzdem ein dramatischer Rückgang.

Fazit

Die Verbände fassen ihre Kritik wie folgt zusammen: „Wenn wir in unserer Arbeit im Beirat auf den letzten Sozialbericht bzw. genauer, auf unsere Forderungen schauen, müssen wir nüchtern festhalten: Viele unserer Empfehlungen und Forderungen sind nach wie vor so aktuell wie vor fünf Jahren“ und stellt die Frage, „wie kann erreicht werden, dass die Sozialberichterstattung mit einer größeren Verbindlichkeit einhergeht, sodass nicht alle fünf Jahre erneut bemängelt werden muss, dass die bekannten Problemlagen wieder größer – und nicht kleiner – geworden sind?“ (s. 302). Eine überaus harsche Kritik – nur diplomatisch formuliert.

 

LINK: https://soziales.hessen.de/Landessozialberichte

 

 

 

Erhard Schleitzer
06.01.2023
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