Klatschen reicht doch völlig!

Die Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst in der Stadtverordnetenversamlung

Auf der Stadtverordnetenversammlung am 1.10.2020 beantragte die SPD kurzfristig eine aktuelle Stunde zum Streik im öffentlichen Dienst. Bei diesem Antrag wurde sie einzig von der LINKEN unterstützt. Das Ergebnis war für manche konsternierend, für andere weniger verwunderlich: Die Grünen und die gesamte Stadtregierung haben mit erstaunlicher Entschlossenheit klar gemacht, dass sie momentan keine größeren Lohnerhöhungen für die kommunalen Beschäftigten wollen.

Die Debatte

Tim Huss von der SPD begann mit einem Redebeitrag: die ver.di-Forderungen seien vernünftig und angemessen, und die SPD stehe an der Seite der Beschäftigten. Das Problem in dieser Tarifauseinandersetzung sei diesmal nicht die Positionierung des Innenministers, sondern die der Kommunen mit ihrem Arbeitgeberverband VKA (Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände). Der Magistrat habe eine Stimme im VKA und solle sich für eine deutliche Lohnerhöhung, zumindest aber dafür einsetzen, dass die kommunalen Arbeitgeber nun endlich ein Angebot vorlegen.

Oberbürgermeister Jochen Partsch von den Grünen hielt stramm dagegen. Die Arbeitslosenzahlen seien um einen Prozentpunkt gestiegen, die Kommunen erwarten hohe Steuerausfälle und es seien auch künftig hohe Ausgaben zur Stützung der Wirtschaft notwendig. In dieser Situation hätten Lohnerhöhungen im Öffentlichen Dienst (ÖD) keine Priorität. Kommunale Beschäftigte genössen im Gegensatz zu anderen, die sich z.B. in Kurzarbeit befinden oder sogar Arbeitslosigkeit befürchten müssen, Sicherheit und gute Arbeitsbedingungen.

Yücel Akdeniz von den Grünen sekundierte dem Oberbürgermeister. Er hob nochmals ausdrücklich auf die Sicherheit der Arbeitsplätze der Beschäftigten im öffentlichen Dienst und die guten Arbeitsbedingungen bei der Stadt Darmstadt ab. Die SPD sei dort, wo sie Verantwortung hat, genauso gegen deutliche Tarifsteigerungen. Der Vorsitzende des VKA-Präsidiums sei ja sogar ein Sozialdemokrat.Roland Desch von der CDU kritisierte grundsätzlich die Thematisierung von Tarifverhandlungen in der Stadtverordnetenversammlung. Dies verstoße gegen die Tarifautonomie. Außerdem verwies er auf bereits erfolgte Einmalzahlungen für Beschäftigte, die besondere Lasten zu tragen hatten. Deutlicher als seine Vorredner stellte er die Forderung nach höheren Löhnen im Öffentlichen Dienst gegen die Interessen derjenigen, die z.B. durch Kurzarbeit aus öffentlichen Geldern unterstützt werden müssten. Letztere hätten kein Verständnis für Lohnsteigerungen bei anderen Berufsgruppen, wenn sie selbst unter der Kriste finanziell leiden.Ralf Arnemann von der FDP kritisierte auf sehr polemische Art die Ausrichtung der SPD an den Beschäftigten im öffentlichen Dienst und an den Uni-Milieus. Mit Forderungen nach mehr Lohn für die ÖD-Beschäftigten würde sie der Industriearbeiterschaft einmal mehr vor den Kopf stoßen. Arnemann folgte Desch mit der Behauptung, dass man das Thema in Stadtverordnetenversammlung nicht diskutieren solle, weil es ausschließlich Sache der Tarifpartner sei.Der Redner der LINKEN, Karl-Heinz Böck, stärkte die Position der SPD. Solidarität sei notwendig, und die Forderungen der Beschäftigten und der Streik seien berechtigt. Es sei überhaupt nicht nachvollziehbar, weshalb man in der Stadtverordnetenversammlung nicht dem einen oder dem anderen Tarifpartner politisch den Rücken stärken könne. Das ändere ja nichts an der Tarifautonomie.Günter Zabel von der AfD forderte Solidarität mit Unternehmern und betonte die Wichtigkeit des Mittelstands.

Die Wählervereinigung UFFBASSE positionierte sich nicht in der Debatte.

Kommentar

Nur SPD und LINKE sprachen sich für Tariferhöhungen aus und äußerten Solidarität mit den Streikenden. Dass FDP, CDU und AfD diese Position nicht teilen ist normal, ungewöhnlich ist aber dass die Grünen sich so eindeutig aufgestellt haben.

Als besonders zynisch dürfte die Position der Magistrats bei den Beschäftigten im Gesundheitswesen ankommen.  Sie waren die „Helden der Arbeit“, haben zu Beginn der Pandemie mit unzureichender Schutzausrüstung die Patient*innen versorgt und sich den Gefahren der Ansteckung ausgesetzt, haben 12-Stunden-Schichten gearbeitet und sollen nun froh sein um ihren sicheren Arbeitsplatz. Mit der relativ starken Beteiligung an dem Warnstreik am Klinikum (s. siehsmaso vom 2.10.20) haben sie ein deutliches Gegenzeichen gesetzt.

Die Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst ist wohl die erste große Auseinandersetzung darum, wer die Corona-Lasten zu tragen hat. Den Streikenden ist ein Erfolg zu wünschen, auch im Sinne aller Lohn- und Transferleistungsabhängigen. Denn niemand sollte glauben, dass das im ÖD eingesparte Geld an die anderen verteilt wird. 

Uli Franke / Erhard Schleitzer
04.10.2020